L. v. Beethoven (1770-1827)
Trio für Klavier, Violine und Violoncello g-Moll/G-Dur op.121a (Über das Lied ‘Ich bin der Schneider Kakadu’)
Introduzione: Adagio assai Thema und Variationen
Opus 121a ist kein Spätwerk Beethovens, wie man wegen der hohen Opuszahl annehmen könnte; vermutlich ist es 1803 entstanden. 1816 schreibt Beethoven an den Verleger Gottfried Härtel: „Variationen mit einer Einleitung u. Anhang für Klawier violin u. violonschell über ein bekanntes müllerisches Thema, sie sind von meinen Frühern Kompositionen jedoch gehören sie nicht unter die verwerflichen.“ Wie wahr: Wer vom Titel oder von der Entstehungszeit her etwas Konventionell-Harmloses erwartet hat, muss dieses Variationenwerk als Sensation empfinden. „Die Variationen sind ein wahres Feuerwerk an brillanten und originellen Einfällen“, schreibt der Pianist Claus-Christian Schuster.
Der Komponist Wenzel Müller hatte ein Händchen beim Erfinden volkstümlicher Melodien; von ihm sind beispielsweise die Lieder ‚Bald gras ich am Neckar’, ‚Kommt ein Vogerl geflogen’ und ‚Wer niemals einen Rausch gehabt’. Das in Wien sehr populäre, entfernt an Papagenos ‚Ein Mädchen oder Weibchen’ anklingende Lied vom Schneider Kakadu ist Müllers Singspiel ‚Die Schwestern von Prag’ (uraufgeführt am 11. März 1794) entnommen.
Vor das dreiteilige Lied (hier der Beginn)
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setzt Beethoven eine polyphon verarbeitete, chromatisch gefärbte längere Adagio-Einleitung, deren dramatische Ernsthaftigkeit er zunehmend mit Elementen des populären Lieds vom Schneider Kakadu durchsetzt und so das muntere Thema der Variationen inmitten tragischer Töne vorbereitet.
In der 1. Variation wird das dreigeteilte Thema vom Klavier solo umspielt (figuriert); in der zweiten übernehmen die Violine mit frisch-heiterem Spiel und - ein wenig gedämpfter - in der dritten Variation das Cello diese Aufgabe. In der vierten schließlich sind alle drei Instrumente lebhaft am Variationen-Spiel beteiligt. Die fünfte Variation schafft mit kontrapunktischer Kunst der Imitation und in großer Ruhe einen Kontrast zur Munterkeit der ersten vier Variationen. Und wieder ein Kontrast: das Virtuos-Spritzige der sechsten. Nach dem virtuosen Spiel im Klavier darf sich während der siebten Variation der Pianist erholen; die beiden Streicher kehren ‚delicatamente‘ (behutsam, zart) zum Kontrapunktischen des Kanons und zu der Imitation zurück. In der achten wechseln Streicher und Klavier, Synkopisches und Verspieltes einander ab. Bei der wunderbaren, tieftraurigen neunten, der Moll-Variation, wird man an die großen Adagio-Sätze Beethovens erinnert, und beim Streichereinsatz mit seinem beißenden Vorhalt ein wenig auch an Barockmusik. Die zehnte erscheint als leicht dahinhuschende Gigue mit hübschem Glöckchen-Geklingel als Abschluss. Man gewinnt den Eindruck, als würde sich die Qualität der Einfälle von Variation zu Variation steigern und als finde der Komponist so viel Spaß an dieser Entwicklung, dass er noch einen ‚Anhang’ (siehe oben) als letzte Steigerung hinzufügt: zunächst im selben Gigue-Stil wie die zehnte Variation ein großartiges längeres Fugato, dessen Thema mit der Fünftonreihe g-a-h-c-h aus dem Anfang des Liedthemas beginnt, eine beruhigende elfte Variation und eine Coda, „mit der das Werk zu brillantem Abschluss gebracht wird“ (s. o.).
April 2021
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