Béla Bartók (1881-1945)
Streichquartett Nr. 4
Allegro Prestissimo, con sordino Non troppo lento Allegretto pizzicato Allegro molto
„Die sechs Streichquartette Bartóks umspannen ihrer Entstehung nach - zwischen 1908 und 1939 - ein Menschenalter. Sie zählen zu Bartóks Hauptwerken. … Sie sind wichtige Stationen auf dem Schaffensweg des Komponisten, einige von ihnen Ereignisse in der Musik der Gegenwart insgesamt. Technisch und geistig sind sie derart anspruchsvoll, dass nur den besten Quartettvereinigungen eine gültige Wiedergabe gelingt. Hier ist schlechthin alles vorhanden, wovon die Neue Musik zehrt und zehren wird vermutlich auf lange hinaus.“ (Reclam 1959)
Das 4. Streichquartett (1928) entstand in den ‚wilden’ Jahren Bartóks, in denen er die Härte der ihm eigenen Tonsprache entwickelt - die Bezeichnung ‚Allegro Barbaro‘ für ein Klavierstück aus dem Jahr 1911 deutet diese Entwicklung an. Nichtsdestoweniger ist das Quartett nicht nur im Einzelnen, sondern schon im Ganzen sorgfältigst konstruiert, nämlich nach einer Brücken- oder Bogenform, die aus 5 Sätzen besteht. „Der langsame Satz bildet den Kern des Werkes, die übrigen Sätze schichten sich um diesen, und zwar ist der vierte Satz eine freie Variation des zweiten Satzes. Die Sätze eins und fünf wiederum haben gleiches thematisches Material, das heißt: um den Kern (Satz drei) bilden die Sätze eins und fünf die äußere, die Sätze zwei und vier die innere Schicht“ (Einleitung der Taschenpartitur). Im langsamen Satz tauchen keimhaft viele der thematisch-motivischen Gedanken der anderen Sätze auf. Eine Graphik zur Veranschaulichung der Bogenform:
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Non troppo lento |
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Prestissimo, con sordino |
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Allegretto pizzicato |
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Allegro |
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Allegro molto |
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Der Erste Satz zeigt die dreiteilige Anlage des klassischen Sonatensatzes: Der Vorstellung der Hauptthema-Gruppe
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folgt eine kontrapunktisch gearbeitete Überleitung ("In meinen neueren Werken verwende ich mehr Kontrapunkt als früher.“, schreibt Bartok zur Zeit der Entstehung des 4. Quartetts.) Kontrapunktisches (Kanon, Umkehrung der Sechzehntelnoten) findet sich auch in der Seitenthema-Gruppe:
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Der zweite Teil des Satzes verwendet und variiert Motive aus dem ersten, zum Beispiel wird ein aufsteigendes Achtel-Motiv aus der Überleitung
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zum Ausgangspunkt eines Fugato. Neu sind die beeindruckenden Sekund-Figuren der Zweiunddreißigstel, die dieses Fugato umschließen. Der dritte Teil greift auf den ersten zurück, folgt ihm im Ablauf, wenn auch mit Veränderungen im Einzelnen. Aus dessen kurzem Abschluss-Marcato wird ein längeres, fulminantes ‚marcatissimo, con brio‘ als Coda.
Der Zweite Satz trägt Scherzo-Charakter und ist dreiteilig angelegt: A B A‘. Teil A ist geprägt durch die chromatisch auf- und abwärtssteigenden sechs Achtel des 6/8-Takts. Teil B ist in sich vierfach unterteilt. Insgesamt entspricht der Satz mehr den Hörgewohnheiten des an klassisch-romantischer Musik Orientierten und erinnert an das Spukhafte mancher Scherzi von Mendelssohn, bereichert freilich durch die Effekte des Glissando und des sul ponticello (am Steg gespielt).
Im Dritten Satz wird das Thema
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vom Cello bei lang anhaltenden Akkorden der übrigen Instrumente vorgestellt. Es wird dann von der 1. Violine und von der 2. Violine, dann von 2. Violine und Bratsche variiert, eine letzte Variation lebt vom Dialog zwischen Cello und 1. Violine.
Das ‚Allegretto pizzicato‘ korrespondiert mit dem Zweiten Satz. Wie dieser ist es dreigeteilt (A B A‘). Das Thema der Ecksätze - Auf- und Absteigen der Achtel - ist ähnlich. Bartok weist aber auch auf den Unterschied hin: „ … dort bewegt es sich innerhalb enger Intervalle der chromatischen Tonleiter, hier erweitert es sich in der diatonischen (Dur-Moll-System, Kirchentonarten) Tonreihe.“ Und auch einige Motive im Mittelteil sind vergleichbar. Durch das leise Pizzicato, ‚gestört‘ von Synkopen und harten Akzenten, die unter anderem durch das ‚Bartók-Pizzicato‘ entstehen (die Saite schlägt auf das Griffbrett auf), wird die Raffinesse des Rhythmischen besonders deutlich.
Dreigeteilt (ABA‘) ist auch das vielschichtige und doch höchst vitale Allegro molto. Dieser Fünfte Satz und Satz 1 „haben gleiches thematisches Material“ (Bartok), so ist das Hauptthema von Teil A
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eine Variation des aufsteigenden Achtel-Motivs aus der Überleitung von Satz 1 (s. o.). Hier nun wird der Einfluss der südosteuropäischen Folklore, der verborgen das ganze Werk bestimmt, eindeutig hörbar. Der Mittelteil dieses Satzes hebt sich zu Beginn deutlich von dem temperamentvollen A-Teil durch den Einsatz des Dämpfers und durch das Pianissimo ab, später durch Pizzicato und die Spielvorschrift ‚grazioso‘. Eine weitere Spielanweisung findet sich gegen Ende des Dritten Teils: col legno (Die Saiten werden mit der hölzernen Stange des Bogens leicht geschlagen.). Ansonsten steigert dieser Teil noch das Spiel mit dem Hauptthema. Die zweite Hälfte der Coda entspricht recht genau dem Schluss des 1. Satzes.
Februar 2020
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Streichquartett Nr. 3 (1926) / Streichquartett Nr. 5 (1934)
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