Ankündigung Von den meisten Zeitgenossen Beethovens nicht verstanden und darum nicht akzeptiert, werden heute die 1806 entstandenen Streichquartette op. 59 aus der mittleren Schaffensperiode Beethovens als ein Höhepunkt der Streichquartett-Musik überhaupt gewertet. Sie sind ein mustergültiges Zeichen des Durchbruchs zu einer ganz und gar individuellen musikalischen Sprache. Der Zweite Satz von op. 59/1 gilt als einer der schönsten Scherzo-Sätze Beethovens, für einen Zeitgenossen war er „Flickwerk eines Wahnsinnigen“. Die tief ergreifende Trauermusik des ‚Adagio‘, die Beethoven unter dem Eindruck vom Tod seines Bruders schrieb, nennt ein heutiger Zeitgenosse „einer der abgründigsten langsamen Sätze“ Beethovens; es ist Musik von großartiger Intensität.
L. v. Beethoven (1770-1827)
Streichquartett F-Dur op. 59/1
Allegro Allegretto vivace e sempre scherzando Adagio molto e mesto Thème russe: Allegro
Nach seinen frühen Quartetten op. 18/1-6 gab es in Beethovens Quartettschaffen eine Pause von sechs Jahren, „als hätte er warten wollen,“ - so schreibt Walter Riezler - „bis ihm die Vollkommenheit der großen Vorgänger nicht mehr gefährlich werden konnte. Und nun entstehen 1806 mit op. 59 drei Werke von so persönlicher Sprache, von so unerhörter Eigenart, dass sie ... mit nichts vergleichbar sind, was es bisher an Quartetten gegeben hatte.“ Sie werden als ein Höhepunkt der Streichquartett-Musik überhaupt gewertet, als ein mustergültiges Zeichen des Durchbruchs zu einer ganz und gar individuellen musikalischen Sprache.
Widmungsträger ist Andreas Cyrillowitsch Fürst Rasoumowsky, der russische Gesandte in Wien, ein feinsinniger Musikliebhaber, der selbst die Zweite Geige in einem Quartett spielte. Beethoven hat dem Fürsten zu Ehren in den beiden ersten Quartetten je eine russische Melodie verarbeitet, bei op. 59/1 als Hauptthema des Finalsatzes.
Das Quartett hat eine Reihe von Besonderheiten: z. B wird der bis dahin übliche Umfang für Werke der Orchester- und Kammermusik (20 bis 30 Minuten) erstmals nahezu verdoppelt. Ein Kuriosum: Erstmals auch wurde Beethovens Musik von den Zuhörern ausgelacht. Das schlichte Hauptthema des Ersten Satzes
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wurde nicht als Musik empfunden. Bernhard Romberg, der größte Cellist seiner Zeit, zertrampelte die Noten aus Wut über dieses zunächst vom Cello eingeführte Thema. Diesem Ärgernis erzeugenden Thema folgen ein zartes Duett der Geigen, ein unwirsches kurzes Solo des Cellos und die aufsteigende Linie des eigentlichen Seitenthemas. Das Hauptthema erfährt im Mittelteil des Satzes großartige Modulationen, einzelne Themenstücke werden fantasievoll verarbeitet, das Thema wird ins Zart-Lyrische verwandelt und auch in einem Fugato vorgeführt, das an Bachs ‚Kunst der Fuge‘ denken lässt. Der dritte Teil des Satzes greift auf die beiden Themen des ersten und auf deren Zwischen- und Nachspiele zurück, nicht ohne wesentliche Veränderungen, zum Beispiel zu Beginn die harmonischen Abweichungen beim Hauptthema. In den Schlusspassagen (‚Coda‘) zeigt sich dieses von Romberg verschmähte Hauptthema noch einmal in neuem, besonders schönem Licht.
Die eigenwillige Rhythmik zu Beginn des Zweiten Satzes
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rief bei Spielern und Publikum Gelächter hervor. Dieser grandiose Satz galt als „Flickwerk eines Wahnsinnigen“. Unmittelbar auf das rhythmische Motiv des Cellos antwortet die 2. Geige mit dem Hauptthema:
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das in einer veränderten Form zusammen mit dem rhythmischen Motiv den gesamten Satz bestimmt.
Weitere Themen werden angedeutet, eines, das ‚dolce’ zu spielen ist:
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Ein weiteres wirkt frisch und munter:
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Das eigentliche Seitenthema lässt recht lange auf sich warten:
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Und dazwischen immer wieder in vielen harmonischen Schattierungen der prägnante Rhythmus des Beginns. Der zweite Teil beginnt und endet mit dem Zitat des Dolce-Themas. Nach dem Dolce-Thema zu Beginn folgt das rhythmische Eingangsmotiv, das zunächst eine eigene, kleine Melodie entwickelt, dann zusammen mit dem Material des Hauptthemas einen kurzen wilden Ausbruch und schließlich eine feingliedrige kontrapunktische Passage bildet, die mit einem schmeichelnden melodiösen Motiv endet:
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Der dritte Teil greift alle Themen und Motive des ersten wieder auf, scheinbar unsortiert, wie zufällig, und doch bilden sie ein großartiges geschlossenes Ganzes. Ähnliches gilt für die Coda, in der auch das schmeichelnde Motiv am Ende des zweiten Teils noch einmal anklingt.
Das Adagio, eine ergreifende Trauermusik - Beethoven schrieb sie unter dem Eindruck vom Tod seines Bruders -, ist schwermütige Klage, aber auch inniger Trost. Das Hauptthema, von der 1. Violine eingeführt, vom Cello wiederholt,
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ist wie das nach einem kurzen Zwischenstück vom Violoncello eingeführte Dreiklang-Motiv des Seitenthemas (Beispiel aus dem dritten Teil)
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Ausdruck stiller Trauer. Den zweiten Teil des Satzes bildet eine variierte Form der beiden Themen, zunächst des Seiten-, dann des Hauptthemas. Am Ende dieses Teils wird die Innigkeit durch ein weiteres wunderbares Thema noch gesteigert:
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Der dritte Teil greift den ersten mit einigen Änderungen wieder auf. In der Coda gewinnt das Hauptthema durch Oktavparallelen noch mehr an Intensität.
Der Satz schließt mit einer großen Kadenz der 1. Violine; dem Triller am Ausgang dieser Kadenz wird das Thème russe des Finale unterlegt:
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Dieser munter-tänzerischen Volksliedweise, die recht stürmisch endet, werden in der 2. Violine die ruhigen Viertel des Seitenthemas entgegengesetzt. Nach der Wiederholung dieses ersten Satzteils werden dessen stürmische Passagen im zweiten Teil des Satzes zum Wilden, Zerrissenen hin gesteigert. Der dritte Teil wiederholt im Wesentlichen den ersten. Die Coda beginnt mit feiner kontrapunktischer Arbeit im Pianissimo und wächst zum wilden Fortissimo. Vor den letzten neun Presto-Takten erscheint das russische Thema einige Takte lang als ‚Adagio‘ in einer völlig verwandelten, wunderschön verklärten Form.
Juli 2019
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Streichquartett op. 018/6 B-Dur / Streichquartett op. 59/2 e-Moll
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