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Vortrag

Shakespeares ‚Othello‘ - 400 Jahre alt und immer noch aktuell

Verkörperung des Bösen – so wird Jago, die heimliche Hauptgestalt in Shakespeares Tragödie, gesehen. Er hat alle Fäden in der Hand, alle anderen sind nur Puppen in seinem Spiel; das Böse beherrscht die Welt – da ist auch kein Trost, dass Jago untergeht.

Die Frage, was das Böse sei, ist in einer von Terrorismus bedrohten Welt hochaktuell – Terrorismus als das Böse an sich, der Terrorist als der Böse schlechthin - so sehr, dass er Satan gleichgesetzt wird - eine gefährliche Vorstellung: wenn das Böse metaphysisch erklärt, dämonisiert wird, sozusagen aus der Welt heraus und in die Hölle hineininterpretiert wird. Dann ist der Mensch eigentlich machtlos gegenüber dem Bösen.

Will man das Böse nicht als vom Satan kommend, sondern von Menschen verursacht begreifen, muss man nach den Gründen für das Handeln der Menschen suchen. So im ‚Othello‘, in dem Jago zwar Satan genannt wird; aber die Rede von Satan und seinem Reich des Bösen ist nur Vergleich, nicht wörtlich gemeint. Jago hat seine Gründe für seinen Hass auf Othello, einen Mohren, auf dessen überragende militärische Fähigkeiten die Stadt Venedig im Kampf gegen die Türken angewiesen ist. Jago ist sein Fähnrich und wurde von seinem General Othello bei einer Beförderung übergangen; der seiner Meinung nach Schlechtere (Leutnant Cassio) wurde ihm als dem angeblich Besseren vorgezogen. Ungerechtigkeit! Und dies durch einen „Dicklippigen“ (thicklips; I,1), den der Rassist Jago im Grunde verachtet. Und Shakespeare tut ein übriges, um das Böse menschlich zu erklären, ihm das Dämonische zu nehmen: Der Underdog Jago (Shakespeare sagt ‚slave‘; V,2) begehrt Desdemona, die gegen den Willen des entsetzten Vaters (Die Tochter heiratet einen Schwarzen! Eine Verirrung der Natur!) sich mit Othello vermählt hat; und er hat den Verdacht, dass seine Frau ihn mit Othello betrogen hat (nichts als eine fixe Idee). Eifersucht eines Frustrierten als Wurzel von Hass, doppelte Eifersucht sozusagen. Und Eifersucht wird das Mittel seiner Rache sein; an Eifersucht soll Othello zugrunde gehen. Jago spinnt die Fäden so sorgfältig, so verrucht-skrupellos, dass seine Bosheit schon etwas Geniales an sich hat; und darauf ist er auch stolz.

Zunächst macht er den harmlosen Cassio, dessen Posten er haben will, betrunken und verwickelt ihn in eine Rauferei; die Entlassung Cassios ist die Folge. Dann überredet er Cassio, Desdemona um Hilfe zu bitten, was dieser mit vollendeter Höflichkeit tut. Folge: Jagos nächste Intrige, Othello einzureden, Cassio und Desdemona hätten ein Verhältnis, fällt bei Othello auf fruchtbaren Boden, da er die beiden beobachtet beim intensiven Gespräch und die Bitten Desdemonas, Cassio wieder einzustellen, entsprechend deutet. Am Ende wird Othello wahnsinnig vor Eifersucht, tötet Desdemona, und er tötet sich selbst, als er erfährt, dass alles nur ein Lügengespinst Jagos war.

Das Netz ist feiner gesponnen, als die verkürzte Darstellung deutlich machen kann. Trotzdem fragt man sich: wie kann ein so überlegener Mann wie Othello sich in dieses Netz verstricken lassen. Entweder ist die Raffinesse von Jagos Bosheit übergroß oder der große Othello hat auch seine Schwächen. Nimmt man die zweite These als Erklärungsversuch, so wird der ‚Othello‘ die ‚Tragödie des Außenseiters‘.

Othello ist ein glänzender Kriegsheld, als solcher akzeptiert, bewundert, aber nur als solcher; denn er ist auch der Mohr: anders als die Menschen in Venedig, hässlich, wild-leidenschaftlich (bloody passion; V,2). Dieses Anderssein macht ihn unsicher, verletzlich, schwächt sein Selbstbewusstsein; er sucht Halt und vertraut den Falschen allzu schnell, glaubt zu rasch den Einflüsterungen Jagos. Eine neue Sicherheit gewinnt er durch die Liebe Desdemonas - sie ist so sehr seine ganze Welt geworden, so sehr sein Schicksal (fate; III,4,62), dass für ihn alles zusammenbricht, wenn er sie verloren glaubt, wenn alles, was ihm Selbstwertgefühl gab, sich für ihn als Schein, als Täuschung darstellt. Immer „sitzt in der Tiefe seines Wesens die Furcht, alles könne wieder verloren gehen.“ (A. Günther). Deshalb kann er so rasch verunsichert werden, deshalb glaubt er so rasch den - zugegeben - höchst raffiniert vorgetragenen Einflüsterungen Jagos. Wie verunsichert er als der Außenseiter ist, wird in extremer Weise deutlich, als Jago ihm erklärt, Desdemona könne ihm nicht treu sein, da er ja ein Mohr sei. Dass sie ihn geheiratet habe, sei „allzulüstern, „maßlos“, „unnatürlich“ gewesen; „ ... ich fürchte“, so Jago weiter, „ihr Wille, zurückgekehrt zu besserm Urteil,/vergleicht Euch einst mit ihren Landgenossen,/und dann vielleicht bereut sie.“ (III,3) Das frisst sich fest, das verstärkt die Selbstzweifel. „Vielleicht weil ich schwarz bin ... ist sie dahin“, heißt es noch in derselben Szene.

Wenn Shakespeare zeigen will, dass das Gefühl des Andersseins, der Unterlegenheit, der Minderwertigkeit Othello anfällig für solche Einflüsterungen macht und am Ende rasend, und wenn er nach den Vorstellungen der Gesellschaft Venedigs (wohl auch der Zeit Shakespeares) als Mohr tatsächlich minderwertig ist, so fragt sich der Zuschauer verwundert: Wieso kann Desdemona den Mohren lieben – treu bis in den Tod.

Shakespeare antwortet so hellsichtig wie einfach: Sie liebt Othello nur als den Kriegshelden, der viel gewonnen und viel gelitten hat; genauer: sie liebt ihn wegen dem, was er über sein Kriegsglück und -leid erzählt hat; so sieht sie nicht den wirklichen, den hässlichen Mohren. Der Zyniker Jago hat einen scharfen Blick: „Wird sie ihn immer für sein Schwatzen lieben? ... Anmut der Gestalt, ... Gesittung und Schönheit ... an dem allen fehlt’s dem Mohren“ (II,1); und er glaubt, Desdemona werde schnell des Mohren überdrüssig. Dass er sich darüber täuscht, liegt an Desdemonas aufrechtem, reinem Charakter, dem es Pflicht (duty; I,3) ist, dem Gatten die Treue zu halten, so sehr Pflicht, dass sie jede Erniedrigung durch Othello bis zur Selbstaufgabe hinnimmt.

Man sieht: Shakespeares ‚Othello‘ bringt viel an Einsicht über den Menschen, vieles, das alle angeht, wenn man das Übersteigerte der Tragödie auf normales menschliches Maß reduziert. So braucht es keiner Verrenkungen einer Regie, die mit Gewalt aktualisieren will. Hoffen wir, dass die Künstler vom Deutschen Theater Göttingen nur Shakespeare auf die Bühne bringen. Der genügt völlig.


Donnerstag, den 21.März 2002 in Bergisch Gladbach, Deutsches Theaters Göttingen



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