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Abitur 1983, 4. Abiturfach

Analysieren Sie den vorliegenden Ausschnitt aus Thomas Manns 'Der Erwählte' unter besonderer Berücksichtigung der Gestalt und Funktion des Erzählers!·

Der Beginn des Kapitels 'Die fünf Schwerter' bis zu der Stelle:"Aber froh bin ich doch, dass das Erzählen mich davon kosten lässt und ich's in einem Sinn erfahre."

Die fünf Schwerter
Der Geist der Erzählung, den ich verkörpere, ist ein schalkhafter und kluger Geist, der wohl das Seine zu verwalten weiß und nicht gleich jede Neugier so geradhin befriedigt, sondern, indem er mehrere erregt, die eine stillt und während dessen die andere sozusagen auf Eis legt, daß sie dauere und sich dabei sogar noch schärfe. Will einer unverzüglich wissen, was aus dem Kinde ward auf Gottes wildem Meer, so wird er abgelenkt und ernstlich unterhalten mit andrer Mär, von der zu wissen ihm ebenso not tut, möge sie ihm auch traurig zu Herzen gehen. Daß sie aber so traurig ist, mag seine Hoffnung stärken, daß es auf den Ünden draußen mit glücklicheren Dingen zugehen wird, denn so unklug ist der Geist der Erzählung nicht, nur lauter Trauriges zu künden.
Die nächste Kunde ist von der sündigen Mutter und wie übel es ihr noch immerfort erging. Die Frau, die hatte wahrlich Leid zu tragen alsus viel, daß ich nicht weiß, ob auch mein Mund geschickt ist, solchem Leid gerecht zu werden und es mit Worten zu erreichen. Ich fühle wohl, es fehlt mir an Erfahrung. Weder rechtes Glück noch rechtes Unglück ward mir je zuteil. Ich lebe so mitten inne, durch mein Mönchtum geschieden vom einen wie vom andern. Das mag es sein, weshalb ich die Allegorie zu Hilfe rufe, um meiner Frauen Leid zu schildern, und sage, daß fünf Schwerter ihr Herz durchbohrten, nicht weniger als so viele. Und ich werde meine Metapher sogleich erklären und jedes der fünf Schwerter bei Namen nennen.
Das erste war der geistliche Kummer, der sie beängstigte ob der Sünde, die sie mit ihrem Bruder getrieben, wenn ihr Fleisch und Blut auch wieder wonnig ihrer gedachte und der Hoffnung auf des Gatten Wiederkehr inbrünstig anhing. – Das zweite war ihre Kindskrankheit und Wochensieche, denn sie genas des Knaben, ungeachtet der treuen Pflege der Hebemutter, nur sehr langsam und schwer. Die Milch trat ihr zurück und schuf ihr Fieberglut, und nach sechs Wochen, welches, wie man mir sagt, für die Frauen die rechte Frist ist, um zu erstehen vom Wochenbett und den ersten Kirchgang zu tun, war sie noch so schwach, daß sie sich kaum auf den Füßen halten konnte. – Kam das wohl vom Milchfieber nur? Ach nein, denn jetzo nenne ich das dritte Schwert: das waren Angst, Gram und Jammer um den kleinen Schiffsmann draußen im wilden Wind, den ganz in Gottes Hand Gegebenen, der ihr nicht mehr die Milch abtrank, und von dem sie nicht wußte, ob er vielleicht gerettet oder von dem Meere verschlungen sei. – Wie schmerzte dieses Schwert! Aber das vierte, das war ein zweischneidiges, ihr ins Herz gestoßen so grausamer Hand, daß ich mich wundere, wie sie's überlebte und noch ihre Tage mehrte, – nicht zu ihrem Heil, oder erst ganz zuletzt zu ihrem Heil, wie ich zu künden mir vorbehalte. Zwar sank sie zweimal in Amacht von diesem Schwert: einmal, als sie's ins Herz empfing, und beim Erwachen dann, als sie gewahrte, daß es noch da war, gleich wieder. Dann aber lebte sie damit und trug es – wie? Das müßt ihr die zarte und zähe Weibsnatur fragen, ich kann's euch nicht sagen.
Gerade drei Tage nämlich vor dem Tage, an dem die Bleiche zur Kirche gehen sollte, geschah es, daß Anaclet, der Knappe, mit verkehrtem Schilde auf der Burg erschien, zum Zeichen böser Botschaft. Was konnte das wohl für Botschaft sein? Kaum brauchte er ihr Worte zu verleihen, ja hätte kaum mit umgekehrtem Schilde kommen müssen, damit man ihn verstände. Daß er allein zurückkam, war genug. Sein holder Herr war tot.
Ach, ich bin ganz untröstlich über diesen Verlust! Da gewährt das Schreiben mir einen rechten Kummer, wie er meinem Mönchtum in Wirklichkeit so wenig wie rechtes Glück vergönnt ist. Wohl möglich, daß ich nur schreibe, um mir von beidem, menschlichem Glück und Leide, etwas anzueignen. Kaum kann ich mich der Tränen erwehren beim Anblick von Anaclets verkehrtem Schild, und wäre nicht draußen auf den Ünden noch einige Hoffnung auf Ersatz und freundlich Wiederleben, – ich brächte es nicht übers Herz, den armen Wiligis zu töten. Denn wie es der Geist der Erzählung ist, der die Glocken läutet, wenn sie von selber läuten, so ist er es auch, der tötet, die da im Liede sterben.
Tot, Jung Wiligis, so schlank und fein! Es ist wahr, er hatte niemanden seiner wert erachtet, als seine mitgeborene und ebenso feine Schwester, und hatte unverzeihlich mit ihr gesündigt. Nur schwer vergebe ich ihm auch das Morden Hanegiffs, eines so guten Hundes. Zur Buße aber war er ritterlich bereit gewesen, da sich doch zeigte, daß er ihr nicht gewachsen war. Ich weiß nicht, dieser Jüngling, obgleich zur Sünde begabt und schnell dazu aufgeregt, war auf dem Herzen wohl nie recht fest gewesen. Gar zu leicht erbleichte er, zitterte leicht und war tapfer, aber gebrechlich. Das Scheiden von seiner süßen Schwester, seinem Weibe, hatte ihm hart und zehrend ans Leben gegriffen, und zur strengen Fahrt auf Kreuzritterschaft war er in der Seele nicht wohl gewappnet. Von Räubern, Untieren, Sümpfen, Wäldern, Fels und Wassern hatte er mit Anacleten mehreres bestanden, doch bis zum Hafen Massilia sollte er gar nicht gelangen: Bevor er hinkam, griff er sich an die Brust, kehrte das verzerrte Antlitz gen Himmel und sank ins Moos, wo ihn mitleidig sein Roß beschnupperte. Wie rasch kam da auch Anaclet aus dem Sattel! In seinen Armen brachte er ihn zu einer Burg, nicht fern von da, deren Herr sie gastlich aufnahm und den Wegkranken pfleglich bettete. Dem aber war das Herz gebrochen; den zweiten Tag gab er den Geist auf, und da man ihm das Leilach übers Haupt zog, sollte die Erde dies ganz besondere Geschwisterantlitz, diese zum ernsten Mund gewölbte Lippe, diese Augen, blau in der Schwärze, dieses witternde Näschen, die Stirne mit dem Zeichen im dunklen Haar, die schönen Brauen, so alt sie wurde, genau so niemals wiedersehen.
Bei dem Gedanken zerdrück ich eine Träne, und ich lobe den fremden Burgherrn, weil er mit Ehren die Verbringung der Leiche des fürstlichen Pilgers in sein Heimatland befahl. Dem Kondukt ritt Anaclet um einen Tag voran und trat vor Sibylla, den Schild verkehrt, gesenkten Angesichts. Der Amacht war sie schon nah gewesen, als ihr nur sein Name, der seine nur, genannt ward. Als sie ihn sah, verging sie und sank in seinen Arm. Der eigenen Träne muß ich mich schämen, denn ich vergoß sie nur aus sanfter Wehmut, ihrer aber war ein Schmerz, den keine Träne lindert, und als sie zum zweitenmal erwachte, war ihr Auge trocken und ihre Miene starr. Berichten ließ sie sich von dem Knappen, wie es mit seinem Herrn geschehen, und sprach dann: »Gut.« Dies ›Gut‹ war gar nicht gut. Ergebung in Gottes Beschluß ist so ein ›Gut‹ mitnichten, vielmehr ist es ein Wort der Starre und der ewigen Verneinung von Gottes Rat, und es will sagen: »Wie dir's beliebt, Herrgott, ich ziehe meine Folgen aus deiner mir nicht annehmbaren Verfügung. Du hattest ein Weib an mir, ein sündiges, gewiß. Jetzt wirst du überhaupt überhaupt kein Weib mehr an mir haben, sondern für immer eine starre Braut des Schmerzes, verschlossen und vertrotzt, du wirst dich wundern.« – Bewahr mich Gott vor solchem Schwert und solcher Starre! Ich biete dem auch gar keine Blöße. Aber froh bin ich doch, daß das Erzählen mich davon kosten läßt und ich's in einem Sinn erfahre.







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