|
|
Antonín Dvořák (1841-1904)
Tschechische Suite Op. 39 für Orchester
Präludium (Pastorale): Allegro moderato Polka: Allegretto grazioso Menuett (Sousedska): Allegro giusto Romanze - Andante con moto Finale: (Furiant) Presto
Böhmen/Mähren war ein ausgeprägt musikantisches Land. Es gab dort im 18. Jahrhundert so viele Musiker, dass eine große Anzahl emigrieren musste und die berühmten Musikzentren Wien, Mannheim, Paris befruchtete. Die Ausgewanderten pflegten aber dort nicht ihre tschechische Musik, sondern waren erfolgreich im Stil der Musik, die sie vorfanden. Die Entdeckung und Förderung einer nationalen tschechischen Musik geschah hundert Jahre später unter schwierigen Umständen, denn Böhmen/Mähren wurde von einer deutsch-sprachigen Mittel- und Oberschicht beherrscht und das Tschechische konnte sich nur mühsam durchsetzen. Smetana gehörte zu den ersten, die sich für ein tschechisches Nationalgefühl und eine tschechische Kultur einsetzten. Dazu musste er aber noch als Erwachsener die tschechische Sprache erlernen. Auch Dvořák erfuhr diese Spannungen zwischen Habsburgisch-Deutsch und Tschechisch, die mit der Gründung der Tschechoslowakei 1918 ein vorläufiges Ende fanden. Dvořák, der fest im Tschechischen verwurzelt war, musste als Jugendlicher Deutsch lernen, um sich durchsetzen zu können. Zwar war der Begriff ‚Böhmen‘ von beiden Volksgruppen als Bezeichnung für ihre Heimat akzeptiert, und manche nannten die Suite op. 39 ‚Böhmische Suite‘, aber für Dvořák hieß sie ‚Tschechische Suite‘. Wie in seinen ein Jahr zuvor entstandenen ‚Slawischen Tänzen‘ (1878) hatte er sich von den Volkstänzen seiner Heimat anregen lassen. Der dritte der drei großen tschechischen Komponisten schließlich, Leoš Janáček, dachte und fühlte im Verlauf seines Lebens so fundamental-national, dass seine Haltung fast hysterisch wirkte und zur Belastung für seine Umwelt wurde.
‚Suite‘ bedeutet in der Musik eine Folge von stilisierten Tanzsätzen. In der Barockzeit wurde sie von einem festlichen Präludium (Ouvertüre) eingeleitet. Dvořák übernimmt zwar die Bezeichnung, ändert aber ihre Funktion: Bei ihm ist das Präludium nicht festlicher Auftakt, sondern „eine zauberhafte Idylle“; als ‚Pastorale‘ bezeichnet Dvořák das Präludium im Untertitel. Dem einfachen Hirtenleben der Idylle entspricht die Art, wie eine einzige Melodie über Bordun-Quinten, die an den Dudelsack erinnern,
|
|
von den verschiedenen Instrumenten immer wieder aufgegriffen wird bis hin zu den in ihrer Schlichtheit wunderschönen Schlussakkorden.
In der dreiteiligen melancholisch gefärbten Polka (A B A) veredelt Dvořák auf köstliche Weise die Musik, die er als Junge auf den Tanzböden spielte (Die Polka hatte sich vermutlich im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts in Böhmen herausgebildet.). Auf dem Tanzboden wird sie nicht so ‚grazioso‘ geklungen haben wie in dieser Suite. Nach dem melancholischen Moll-Teil A folgt der Mittelteil B in Dur. Der dritte Teil A ist identisch mit dem ersten.
Am Menuett wird schon durch die Satzbezeichnung deutlich, dass Dvořák die tschechische Folklore seiner Heimat mit westeuropäischen Traditionen verbindet: Das Menuett ist fester Bestandteil der barocken Suite, die 'Sousedska' ein böhmischer Volkstanz, der dem Ländler ähnelt, also eigentlich wenig mit einem Menuett zu tun hat. Die Eleganz und die kunstvolle Bearbeitung, mit der die durch zwei aufwärtsspringende Sechzehntel auf der ersten Taktzeit und dem Akzent auf der zweiten charakterisierte Tanzmelodie
|
|
präsentiert wird, sind wiederum weit von der Art eines böhmischen Volkstanzes entfernt.
Am weitesten entfernt sich die Romanze von den Baugesetzen der Suite und von dem Idiom des Volkstümlichen. Das Liebliche, Schwelgerische zeigt auf, dass Dvořák in seinem Innersten das ist, worauf die Satzbezeichnung ‚Romanze‘ und die Zeit, in der er lebt, verweisen, nämlich ein Vertreter der Romantik.
Der Furiant (tschech. „der Begeisternde“, von lat. furians, „begeisternd, rasend“) ist ein schneller böhmischer Volkstanz im Dreivierteltakt mit Akzentverschiebungen. Die kompositorische Gestaltung des Furiant dieser Suite ist brillant. Eine aufwärtssteigende Melodie
|
|
wird in einem ersten Teil in ständig wechselnden Farben vorgeführt, manches Mal zu symphonischer Größe gesteigert. Gegen Ende wird mit einem neuen Motiv
|
|
barocke Kontrapunktik angedeutet. Ähnlich eindrucksvoll zeigt sich der Mittelteil, wenn auch sein Thema nicht aufwärts steigt, sondern eher in sich ruht:
|
|
Seine kontrapunktischen Verflechtungen sind deutlicher noch als im ersten Teil. Der dritte Teil greift den begeisternden Aufwärtsschwung des ersten wieder auf, sein Spiel mit dessen Motiven ist noch variabler, das symphonische Element noch ausgeprägter, die Rasanz des Ausklangs ist hinreißend.
Dezember 2019
|
Orchester Bläsersextett
|
|
|
|
|