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3. Klassenarbeit 9c am 20.12.99

Gedichtvergleich

Paul Boldt
(1885 - 1921)
Friedrichstraßendirnen
1

Sie liegen immer in den Nebengassen,
Wie Fischerschuten2 gleich und gleich getakelt3,
Vom Blick befühlt und kennerisch bemakelt4,
Indes sie sich wie Schwäne schwimmen lassen.

Im Strom der Menge, auf des Fisches Route.
Ein Glatzkopf äugt, ein Rotaug' spürt Tortur5,
Da schießt ein Grünling6 vor, hängt an der Schnur
Und schnellt an Deck einer bemalten Schute,

Gespannt von Wollust7 wie ein Projektil!8
Die reißen sie aus ihm wie Eingeweide,
Gleich groben Küchenfrauen ohne viel

Von Sentiment9. Dann rüsten sie schon wieder
Den neuen Fang. Sie schnallen sich in Seide
Und steigen ernst mit ihrem Lächeln nieder.
---------------------------------------------------
1 Friedrichstraße: Geschäftsstraße in der Berliner Innenstadt; Dirne = Prostituierte, Hure
2
Schute: flaches, breites, offenes Wasserfahrzeug
3
Takel: Der seemännische Ausdruck für ‘Segelwerk’ - Von ‘Takel’ abgeleitet ist das Verb takeln ‘mit Takelage versehen’, dazu
abtakeln ‘die Takelage von einem Schiff entfernen’, beachte auch abgetakelt umgangssprachlich für „ausgedient, herunter-
gekommen“, und
auftakeln „mit Tagelage versehen“, umgangssprachlich auch für „sich sehr auffällig kleiden, zurechtmachen“.
4
bemakeln: mit einem Makel versehen, beschmutzen, beflecken; vielleicht denkt P. Boldt auch an ‘mäkeln, bemäkeln’: an jemandem
oder einer Sache etwas auszusetzen haben; tadeln, bemängeln’; mäklig: ‘wählerisch, herumnörgelnd’.
5
Tortur ‘Folter, Qual, Quälerei’
6
Rotauge und Grünling sind Fischarten (Grünling wird auch im Sinne von ‘unerfahrener Mensch’ gebraucht).
7
Wollust : Gefühl höchster Lust bei der Befriedigung des Geschlechtstriebes; sinnverwandt: Begierde, Fleischeslust, Geilheit, Lust,
Lüsternheit;
wollüstig: geschlechtlich erregt
8
Projektil: Geschoss (Körper, der mit Hilfe einer Waffe, z. B. Armbrust, Bogen, Pistole, verschossen wird.
9
Sentiment ‘Empfindung, Gefühl’



Clemens von Brentano
(1778-1842)
Der Spinnerin
1 Nachtlied

Es sang vor langen Jahren
Wohl auch die Nachtigall;
Das war wohl süßer Schall,
Da wir zusammen waren.

Ich sing und kann nicht weinen,
Und spinne so allein
Den Faden klar und rein,
Solang der Mond wird scheinen.

Als wir zusammen waren,
Da sang die Nachtigall;
Nun mahnet2 mich ihr Schall,
Dass du von mir gefahren3.

So oft der Mond mag scheinen,
Gedenk ich dein allein;
Mein Herz ist klar und rein,
Gott wolle4 uns vereinen.

Seit du von mir gefahren,
Singt stets die Nachtigall;
Ich denk bei ihrem Schall,
Wie wir zusammen waren.

Gott wolle uns vereinen,
Hier spinn ich so allein,
Der Mond scheint klar und rein,
Ich sing und möchte weinen.
-----------------------------------------------
1 spinnen: mit dem Spinnrad Fasern zu einem Faden drehen: Garn, Wolle; das Spinnen von Wolle, Flachs, Hanf und dgl. war seit alters vor allem Frauenarbeit.
2‚mahnen‘ bedeutet ‚daran erinnern‘
3 vergleiche ‚aus der Welt fahren’ oder ‚dahinfahren’ für ‚
sterben’
4 ‚wolle’ bedeutet so viel wie ‚möge’.



Aufgabenstellung und Lösungsvorschlag

1. Interpretiere das Gedicht von Paul Boldt unter Berücksichtigung
a) der inhaltlichen Aussagen
Die Dirnen der Friedrichstraße, in gleicher Weise auffällig zurechtgemacht (getakelt) präsentieren sich dort, wo sie Freier erwarten können, als Schau- und Lustobjekt und als von den Freiern begutachtete Ware; sie tun es mit einer Art Stolz und Hohheit, innerlich unnahbar.
Von den Männern, die sich, von Begierde gefoltert, nach ihnen umschauen, wird ein Unerfahrener ‚geangelt‘ – er steht für alle anderen Männer - und kühl-professionell abgefertigt, grob und schnell von seinem sexuellen Drang befreit.
Dann begeben sich die Dirnen, neu zurechtgemacht, ernst und mit einem Lächeln wie von oben herab zu ihrem neuen Fang.

b) des Aufbaus und des Zusammenhangs dieser Aussagen
Entgegen vielen anderen Sonetten wird der Inhalt nicht durch die Strophen gegliedert; Inhalt und Satzbau greifen über die Strophenenden hinaus.
Die Verse 1 – 6 beschreiben das gegenseitigen Sich-Suchen und Abschätzen von Dirnen und Freiern. Die Verse 7 – 9 stellen das, wie die Männer von den Dirnen geangelt werden. In den Versen 10 – 12 wird der eigentliche Akt beschrieben. Die Verse 12 – 14 zeigen, wie die Dirnen sich für den Fang eines neuen Freiers vorbereiten.

c) der Art und Weise ihrer Formulierungen
Auffallend ist die Metaphorik des Sonetts. P. Boldt verwendet Bilder in Form von Vergleichen (5 x der Vergleichspartikel ‚Wie/gleich‘) oder in der Form der Metapher (2. Quartett). Vielleicht hat sich P. Boldt von der Redewendung ‚Sich einen Mann angeln‘ anregen lassen; jedenfalls holt er seine Vergleiche zum größten Teil aus dem Bereich der Fischerei, wobei die Dirnen teils mit Fischerbooten und ihrer Takelage und Bemalung, teils mit den Fischern verglichen werden, die Freier mit den Fischen, die mit der Angel aufs Fischerboot geschnellt werden.
Zum Bereich des Wassers passt der Vergleich mit den Schwänen, wenn auch durch dieses Bild eine andere Nuance in die Charakterisierung kommt: etwas Unnahbares, Hohheitsvolles; im Augenblick, in dem sie ihr Gewerbe ausüben, trifft das Unnahbar-Hohheitsvolle nicht zu, deshalb der Vergleich mit groben Küchenfrauen, die die Fische ausnehmen. Um die Gier der Männer zu verdeutlichen, vergleicht Boldt die Männer mit einem Geschoss, das gespannt ist, um – zerstörend – sein Ziel zu treffen.

d) der Verwendung bestimmter Wortfelder
Durch die Vergleiche ergibt sich das Wortfeld, das die Begriffe des Fischfangs umfasst.
Von den Verben und Partizipien kennzeichnen vorschießen, schnellen, spannen, ausreißen die schnelle und brutale Art der Begegnung zwischen Hure und Freier. Eine andere Gruppe von Verben/Partizipien charakterisiert die professionelle Aufmachung der Prostituierten: takeln, bemalen, rüsten, in Seide schnallen.
Eine dritte Gruppe nennt den Stolz der Dirnen, der deutlich macht, dass sie den Männern nur ihren Körper, nicht aber sich ganz geben: sich schwimmen lassen, niedersteigen.
Die zwei gegensätzlichen Seiten in der Haltung der Prostituierten wird durch die Adjektive grob und ernst charakterisiert.

e) der Stilmittel,
Das auffälligste Stilmittel ist die Alliteration, vor allem des sch/sp/st (V. 4, 7–9, 12–13), weitere Alliteration: die des ‚g‘ (V. 2 durch die Wiederholung – passend zum Inhalt, V. 11) und die des ‚w‘ (V. 9).
Auffällig ist die Häufung der i-Laute, überhaupt der hellen Vokale (vor allem im 1. Quartett); sie passt zum Grellen, Schrillen der dargestellten Vorgänge.
Durch Enjambement werden einzelne Verse und Strophen verklammert: eventuell 8/9, auf jeden Fall 4/5 (trotz des Punkts), 11/12, 12/13.2

f) der Stropheneinteilung, des Reimschemas, des Versmaßes; (Schreibe zur Klärung des Versmaßes den Vers 4 des Gedichts ins Heft und skandiere ihn in der Weise, dass du ihn a) in Takte, b) in Versfüße einteilst!)!
Sonett; Quartette, Terzette; Reimschema; Skandieren

2.
a) Wie heißt der Versfuß, der dem Gedicht Brentanos zugrunde liegt? (derselbe wie bei dem Gedicht von Paul Boldt)
b) Wieviel Hebungen haben die Verse im Gedicht Brentanos?
c) Schreibe die Reimfolge einer Strophe des Gedichts von Brentano auf!
d) Welchen Namen hat diese Reimfolge?

3. Stelle mit eigenen Worten möglichst genau die Situation dar, die in Brentanos Gedicht aufgezeigt wird!
Eine Frau sitzt in einer Mondnacht, die für viele Nächte steht, einsam am Spinnrad und singt von ihrem Leid (Der Spinnerin Nachtlied heißt die Überschrift). Sie singt von der Trauer um ihren Geliebten, der vor langen Jahren gestorben ist. Trotz dieser langen Zeit lebt sie immer noch nur in der Vergangenheit im ständigen Gedenken an ihren Geliebten: Da wir zusammen waren. Der Gesang der Nachtigall erinnert sie an die Schönheit und Süße dieser Liebe. Sie ist so überwältigt von der Erinnerung, dass sie an nichts anderes denken kann als an ihn; und sie ist von der Trauer so erstarrt, dass ihr nicht einmal erlösende Tränen kommen. Sie möchte sterben, um mit ihrem Geliebten im Tod vereint zu sein.

4. Was fällt dir an den Gestaltungsmitteln von Brentanos Gedicht besonders auf?
Das auffallendste Gestaltungsmittel ist die ständige Wiederholung einzelner Formulierungen und Klänge, die das ‚Nur um ihr Leid Kreisen‘ dieser Frau, versinnbildlicht durch das ständige Kreisen des Spinnrads, deutlich macht. Bei den a-Reimen wie bei den ei-Reimen gibt es jeweils nur fünf Reimwörter.

5. Vergleiche die Auffassung von ‘Liebe’ in den beiden Gedichten!
Die beiden Gedichte stellen zwei extrem unterschiedliche Arten der ‚Liebe‘ dar: Die über den Tod dauernde klare und reine Liebe und Treue, die ewig dauert und den ganzen Menschen für immer ergreift, und die ‚Liebe‘ als ausschließlich körperliche Wollust, die auf schnelle Befriedigung aus ist und den Menschen, dem man in dieser ‚Liebe‘ begegnet, nur als Ware und Geschäft ansieht.



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