Johannes Brahms (1833-1897) Walzer op. 39
„Kleine unschuldige Walzer in Schubertscher Form“ – so hatte Brahms seine 16 Walzer op. 39 aus dem Jahr 1866 genannt (Er hatte gerade Manuskripte Schubertscher Walzer gefunden und war entzückt über diese kleinen Kunstwerke und entsetzt, dass es sie nur in einem Manuskript gab.). Aber trotz des Hinweises auf die Schubertsche Form findet sich natürlich mehr Eigenes als Schubertsches in diesen sechzehn wunderschönen Miniaturen, die nicht länger als je 30 bis 80 Sekunden lang sind. Brahms‘ erste Biographin, Florence May, schreibt über sie: „Sie sind unnachahmlich in ihrer zarten Anmut und besitzen einen Zauber, dem wohl kein Beispiel ihrer Art gleich käme.“ Es klingt in ihnen der elegische Ernst des Norddeutschen (1866 wurde auch das ‚Deutsche Requiem’ vollendet); und manche sind voller schwärmerischer Sanftheit. Aber es gibt in ihnen auch den Wienerischen Schwung der Strauß-Walzer, den wiegenden Rhythmus der Ländler Schuberts, und manche der Walzer sind in Melodie und Rhythmus gar ungarisch gefärbt.
Ein effektvoller Auftakt ist die Musik des ersten Walzers; den Gegensatz dazu bildet das sanfte Wiegen des zweiten. Im elegischen Ton bleibt auch der dritte; der vierte Walzer präsentiert sich leidenschaftlich-energisch, der fünfte wieder besinnlich-schwärmerisch, und lebhaft geht es zu im sechsten der 16 Walzer. Ganz charakteristischer Brahms, den Stil seiner späten Klaviermusik vorwegnehmend, ist der elegische siebte Walzer. Der achte verweist auf Schubert, der neunte auf Schumann. Nach drei besinnlichen Walzern folgen zwei in erregterer Stimmung (10, 11), von denen der zweite ungarisch eingefärbt ist. Der zwölfte verweist in seiner Schwerblütigkeit wieder nach Norddeutschland. Im dreizehnten und vierzehnten Walzer erklingen noch einmal ungarische Rhythmen und Melodien, die im vierzehnten sich bis ins Ekstatische steigern. Und dann die wunderbare Ländlerweise des As-Dur-Walzers Nr. 15, die man nicht mehr vergessen kann. Brahms schließt aber seinen Walzerzyklus nicht mit dessen süßem Dur-Wohlklang, sondern mit dem herberen Moll des sechzehnten Walzers, dessen wehmütige Haupt-Melodie zunächst als Mittelstimme unter einer Melodie der Oberstimme erscheint; dann erklingt die Haupt-Melodie als Oberstimme, während die frühere Oberstimme nun in der Mitte liegt. Schließlich werden die beiden Stimmen noch einmal getauscht. Diese kompositorische Finesse (doppelter Kontrapunkt) geht aber völlig auf in dem bezaubernden Ausdruck einer „träumerischen Abschiedsstimmung“ (Reclam). April 2020
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