Es ist alles eitel
zu Prediger 1,2
Du siehst, wohin du siehst nur Eitelkeit auf Erden. Was dieser heute baut, reist jener morgen ein: Wo itzund Städte stehn, wird eine Wiese sein Auf der ein Schäferskind wird spielen mit den Herden:
Was itzund prächtig blüht, soll bald zertreten werden. Was itzt so pocht und trotzt ist Morgen Asch und Bein Nichts ist, das ewig sei, kein Erz, kein Marmorstein. Itzt lacht das Glück uns an, bald donnern die Beschwerden.
Der hohen Taten Ruhm muß wie ein Traum vergehn. Soll denn das Spiel der Zeit, der leichte Mensch bestehn? Ach! was ist alles dies, was wir für köstlich achten,
Als schlechte Nichtigkeit, als Schatten, Staub und Wind; Als eine Wiesenblum, die man nicht wiederfind't. Noch will was ewig ist kein einig Mensch betrachten!
Beurteilt wird neben der Untersuchung der Gedicht- und Strophenform, des Verses (Hebung, Senkung, Versfuß, Gliederung, rhythmische Bewegung), des Reims, des Verhältnisses von Satzbau, Strophe und Vers, der Klangwirkungen (Wiederholungen) wenigstens zur Hälfte die Untersuchung des Inhalts, der Aussage des Gedichts: Aufbau, Gliederung, Erklärung der Bilder, Bedeutung; notwendig ist auch eine Definition von ‚Eitelkeit’.
zur Semantik: ‚Eitel’ und ‚Eitelkeit’ haben bei Gryphius einen sehr viel weiteren Sinn als heute. Bei Ihrer Interpretation müssen Sie u. a. aus dem Gesamtverständnis den Sinn erschließen (hermeneutischer Zirkel); ebenfalls müssen Sie den Sinn von ‚pocht’ und ‚Beschwerden’ erschließen.
Der Begriff ‚Eitelkeit’ ist als Übersetzung von ‚vanitas’ zu verstehen. Dieser Begriff ist wesentlich geprägt durch seine Stellung in der lat. Übersetzung des Predigers Salomon aus dem AT. Dort heißt es u. a. (2,11): „Als ich aber ansah alle meine Werke, die meine Hand getan hatte, und die Mühe, die ich gehabt hatte, da sah ich, dass alles Eitelkeit war und haschen nach dem Wind und dass nichts bleibt unter der Sonne.“ „... vidi in omnibus vanitatem ... et nihil permanere sub sole.“
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