J. Brahms (1833-1897)
Sonate für Klarinette und Klavier Es-Dur op. 120/2
Allegro amabile Appassionato, ma non troppo Allegro Andante con moto. Allegro non troppo. Più tranquillo
Brahms hatte mit dem Streichquintett op. 111 sein Lebenswerk für abgeschlossen gehalten („Ich habe genug geschafft“), wollte sein Haus bestellen und hatte schon eine Art Testament geschrieben, als er 1891 den Meininger Hof besuchte. Dort ließ er sich von dem Klarinettisten der Hofkapelle, dem jungen Richard Mühlfeld, dessen Spiel Brahms schon länger bewunderte, die Möglichkeiten der Klarinette genau erklären. Der Klang von Mühlfelds Klarinette begeisterte ihn so sehr, dass er, neu inspiriert, im Laufe des Jahres 1891 sein Klarinettentrio und sein Klarinettenquintett komponierte, drei Jahre später dann auch die beiden Klarinettensonaten op. 120,1 und 2. Die Sonate op. 120/2 ist Brahms’ letztes Werk für Kammermusik – es folgen noch die ‘Vier ernsten Gesänge’ und einige Choralvorspiele für Orgel, als letztes Werk überhaupt ein Choralvorspiel zu ‚O Welt, ich muss dich lassen’. Im Klang der Klarinette fand Brahms die geeignete Möglichkeit, seine stille, manchmal schmerzliche Resignation auszudrücken. Von „Sonnenuntergangsstimmung“ liest man in der Literatur über diese Sonaten.
Die ungewöhnliche Satzbezeichnung ‚Allegro amabile (lieblich)‘ verweist auf diese Stimmung, die den Ersten Satz weitgehend bestimmt. Geprägt ist sie von seinem Hauptthema,
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das sich aber auch zu kraftvoller Umgestaltung eignet. Zwei herrliche Seitenthemen werden unmittelbar nebeneinandergerückt, das eine weich und entspannt, ‚sotto voce‘ zu spielen, gleichsam vom Leben gesättigt, das zweite lässt an die Siege dieses Lebens denken. Im Mittelteil, der der Tradition nach die bisherigen Themen aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet, geschieht dies hier im Wesentlichen mit dem Hauptthema. Der dritte Teil greift den ersten nur wenig verändert wieder auf. Sein Abschluss, die Coda, lässt die beiden ersten Themen anklingen und beschließt den Satz in eben dieser milden Stimmung, in der er begann, ein wenig träumerischer und weicher noch.
Mit sanftem Ausklingen enden auch die drei Teile des Zweiten Satzes, die Eckteile (A) und der choralartige Mittelteil (B; Aufbau: A B A). Die Eckteile zeigen am ehesten etwas von der Leidenschaftlichkeit, die in der Satzbezeichnung angekündigt ist (Appassionato), vor allem in den Klavierpassagen; viel Raum bleibt aber auch der milden Resignation.
Im Dritten Satz, dem letzten Stück Kammermusik, das Brahms geschrieben hat, zeigt der Komponist noch einmal das, was für sein gesamtes Werk charakteristisch ist: die Nähe zum Volkslied und das Prinzip der Variation. ‘Volksliedhaft’ ist das Thema, das fünf Mal variiert wird. Die Erfindung dieses Themas mit seinem schlichten, aber so ungemein eindrucksvollen Fünf-Ton-Motiv der Abschlussphrase und seinen begleitenden Akkorden hat etwas Wunderbares, und wunderbar ist die versonnene (1. Variation), freundliche (2. Variation), bewegtere, unbeschwertere (3. Variation), verinnerlichte (4. Variation) und freudig-jubelnde (5. Variation), in jedem Fall immer leicht wehmütige, aber doch ganz gelöste Art, wie hier ein Schlussstrich gezogen wird - die Art eines Menschen, der hat lernen müssen loszulassen. Großartig auch der Ausklang: die eindrucksvolle Abschlussphrase klingt schon in der letzten Variation auf, wird in der Coda intensiviert und mündet in ein völlig befreites munteres Geschehen.
Juli 2014
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