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I. Strawinsky
(1882 – 1971)

'L’histoire du soldat' für Violine, Klarinette und Klavier


1. Marsch des Soldaten
Die Geige des Soldaten
Kleines KonzertTango - Walzer - Ragtime
Tanz des Teufels

Mit seinem als Ballett-Musik konzipierten Werk ‚Die Geschichte vom Soldaten‘, wandte sich Strawinsky vom Romantisch-Schwelgerischen in der Musik ab und verschrieb sich einer neuen ‚Ästhetik der Einfachheit‘, einer musikalischen Kargheit und Sachlichkeit. Eine der Ursache für diese neue Ästhetik war die Ernüchterung durch den Ersten Weltkrieg und auch die äußere Verarmung durch diesen Krieg. Den großen Häusern und großen Orchestern fehlte das Geld, und so schrieb Strawinsky 1918 diese aufs scheinbar Einfachste reduzierte Musik zu einem Ballett, das mit wenig äußerem Aufwand aufgeführt werden konnte, passend für Aufführungen in Schul-Aulen, in Scheunen, auf Dorfplätzen und Jahrmärkten: ‚Die Geschichte vom Soldaten‘ – „zu lesen, zu spielen und zu tanzen“ für 3 Schauspieler, Tänzerin, Klarinette, Violine, Kontrabass, Fagott, Trompete, Posaune und Schlagzeug, Text: C. F. Ramuz, Uraufführung: Lausanne 1918. Die Tournee des Wandertheaters, die folgen sollte und durch die Strawinsky sich aus seiner finanziellen Notlage befreien wollte, fiel aus, weil alle Teilnehmer an der Spanischen Grippe erkrankten (Strawinsky, ‚Mein Leben‘).

Aus diesem Ballett entstand eine 10-sätzige ‚Große Suite‘ für die Instrumente des Balletts und in letzter Konzentration 1919 eine etwa fünfzehnminütige ‚Kleine Suite‘ nur noch für Violine, Klarinette und Klavier.

Thomas Mann hatte diese ‚Geschichte vom Soldaten‘ im Sinn, als er in seinem ‚Doktor Faustus‘ ein Musikstück seines Helden, des Tonsetzers Adrian Leverkühn, beschrieb und es als eine kritische Antwort „auf die geschwollene Pathetik einer zu Ende gehenden Kunstepoche“ bezeichnete. In dieser Partitur sei „das harmonisch Herrischste, rhythmisch Labyrinthischste auf das Einfältigste (bei Strawinsky das Märchen) und eine Art von musikalischem Kindertrompetenstil wiederum auf das stofflich Ausgefallenste angewandt.“ Das „hochgetriebene Handwerk“, z. B. die „Künste des Kontrapunkts“ sei „unauffällig gemacht“. Und Mann schreibt von der „Einfachheitswirkung“ dieser Musik, die „sehr fern von Einfalt“ sei, sondern von „einer intellektuell federnden Schlichtheit“. Die Kunstmittel, die Strawinsky einsetzt, vor allem die des Rhythmus‘, sind äußerst komplex, die Interpretation ist entsprechend schwierig.

Der Inhalt des Balletts ist einer Sammlung russischer Märchen entnommen: Ein Soldat hat Urlaub für 14 Tage und wandert nach Hause zu Mutter und Braut: Die musikalischen Motive dieses ‚Marsch des Soldaten‘ ähneln Militär-Signalen. Sie sind entsprechend minimalistisch, rau, wirken zerfetzt und wiederholen sich ständig innerhalb der ca. eineinhalbminütigen Spielzeit. Wie „das rhythmisch Labyrinthischste … angewandt“ wird, zeigt der für einen Marsch eigentlich unmögliche ständige Wechsel zwischen 3/4-, 2/4- und 3/8-Takt.

Der Soldat sitzt am Bach und spielt auf seiner Geige so wie ein Soldat eben Geige spielt (‚Violine des Soldaten‘): Zu einer ostinaten Begleitung im Klavier werden – wie im ‚Marsch des Soldaten‘ - kurze Motive immer wieder repetiert. Währenddessen erscheint der Teufel in der Gestalt eines Alten, schleicht umher und legt dem Soldaten plötzlich seine Hand auf die Schulter. Dessen Erschrecken erklärt den verunglückt erscheinenden Schlusstakt dieses Zweiten Satzes.

Der Teufel will die Geige haben und tauscht sie gegen ein Zauberbuch. Der Soldat glaubt mit dem Teufel drei Tage verbracht zu haben, tatsächlich waren es drei Jahre, die der Teufel ihm gestohlen hat. Als der Soldat in sein Dorf kommt, glauben alle, er sei ein Gespenst. Seine Braut hat geheiratet und zwei Kinder. Das Zauberbuch ist sein Ausweg:
Er liest im Buch, und der Ertrag ist: Geld. Viel Geld.
Weil er vorausweiß, wie die Börse steigt und fällt.
Er liest im Buch, so viel er kann,
ist bald ein reicher Mann.
Kauft aus dem Geld, was ihm gefällt.
Das Buch, eine Art Lehrfibel des Kapitalismus, macht ihn reich, aber einsam.
Die ganze Welt - nur ich nicht - freut sich an dem Tag.
Verliebte überall - doch kein Mensch, der mich lieben mag.
Darauf kam's an. Darauf allein.
Und da hilft kein Geld.
Darum zerfetzt der Soldat das Buch.

In einem fremden Land könnte er die kranke Prinzessin mit seinem Geigenspiel heilen und heiraten; aber die Geige hat der Teufel, und von dem bekommt er sie nur zurück, wenn er auf all seinen Besitz verzichtet. So geschieht es. Mit seiner Geige geht er an den Königshof, und der Prinzessin wird ein ‚Kleines Konzert‘ gegeben – eine Musik, zu der ganz besonders Thomas Manns Formulierung passt, es handle sich um „das harmonisch Herrischste, rhythmisch Labyrinthischste“.

Das Geigenspiel des Soldaten lässt die Prinzessin gesunden. Das wird durch drei Tänze gefeiert. Und die Prinzessin tanzt dazu. Wer aber bei ‚Tango, Walzer und Ragtime‘ glaubt, man könne nach dieser Musik wirklich tanzen (abgesehen von einer Ballett-Tänzerin), sieht sich getäuscht. Diese Tänze wirken fremd, verfremdet. Ausgesprochen sperrig kommt der etwa sechsminütige Vierte Satz daher, zerklüftet im Tango, parodistisch beim Walzer. Beim Ragtime hat Strawinsky wohl an die Ableitung aus ‚ragged time‘ („zerrissene Zeit“) gedacht und an die für den Ragtime übliche Synkopierung der Melodie-Linie.

Der Teufel, zum ersten Mal in seiner wahren Gestalt, scheint besiegt. In der Regieanweisung des Balletts heißt es: „Nun beginnt der Soldat zu spielen, und der Teufel muss tanzen. ‚Tanz des Teufels‘. Verrenkungen, konvulsivisches Zucken. Er will seine Füße mit den Händen festhalten, doch vergeblich. Er fällt erschöpft zu Boden.“
Weil aber der Soldat, auch von der Prinzessin angetrieben, wieder in seine Heimat zurückkehrt – was der Teufel verboten hatte -, verfällt er der Macht des Teufels, der nun über den Soldaten triumphieren kann. Die Moral dieses negativen Märchen-Schlusses:
Man soll zu dem, was man besitzt, begehren nicht, was früher war.
Man kann zugleich nicht der sein, der man ist und der man war.
Man kann nicht alles haben. Was war, kehrt nicht zurück.

Juli 2016



Strawinsky / Duo Concertant

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