Franz Schubert (1797-1828)
Streichquartett G-Dur op. 161
Allegro molto moderato Andante un poco moto Scherzo: Allegro vivace Allegro assai
Im Rahmen der traditionellen Viersätzigkeit hat Schubert mit seinem Opus 161 ein in seiner Neuheit und Einzigartigkeit geniales Werk geschaffen. So hat er zum Beispiel neue Klangfarben gefunden, einen fast orchestraler Klang u. a. durch das häufige Tremolo. Auch die Unentschiedenheit beim Tongeschlecht vor allem in den Ecksätzen hat es bis dahin in dieser Konsequenz nicht gegeben.
Schon der abrupte Wechsel von Dur nach Moll in den ersten drei Takten des Allegro molto moderato, verstärkt durch ein Crescendo zum Fortissimo, „gefolgt von wild gezackten Rhythmen“ (Kammermusikführer Villa Musica) ist einzigartig, ein Ausbruch einer unheimlichen Kraft, wie ja das gesamte Quartett ein jäher Ausbruch schöpferischer Kraft gewesen sein muss: Innerhalb von 10 Tagen, zwischen dem 20. und 30. Juni 1826 wurde es niedergeschrieben. Aufgeführt wurde zu Lebzeiten Schuberts nur der Erste Satz - am 26. März 1828, dem ersten Jahrestag von Beethovens Tod, auf dem einzigen öffentlichen Konzert, das mit Hilfe seiner Freunde Schubert veranstaltet hat. Schubert hatte den Schaffensprozess der späten Quartette Beethovens in den Jahren 1822-1826 genau verfolgt. Sie gaben ihm den Anstoß für das Einzigartige von op. 161.
Einzigartig ist die Art, wie das erste Thema
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von der 1. Geige eingeführt wird: pianissimo über dem Tremolo der übrigen Streichergruppe. Eindringlicher noch wirkt das Unheimlich-Geheimnisvolle der Tremoli, wenn im Cello zu neuen harmonischen Wendungen das Thema in veränderter Form wiederholt wird. Nach einem Zwischenstück mit Motiven des Einleitungsteils behauptet sich bis zum Schluss des ersten Satzteils ein zweites Thema, das im Wechsel zwischen Forte-Ausbrüchen und Pianissimo in immer wieder neuem Licht erscheint:
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Dieses ernste ‚Spiel‘ mit Motiven und Themen – das erste Thema kommt nun hinzu - setzt sich im Mittelteil des Satzes fort. Prägend sind neben diesen Themen chromatische Tremolo-Figuren, die sich abwärts bewegen und einen neuen, fahlen Klang hinzufügen:
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Und prägend sind bedrückende Akkordfolgen, teils in gebrochener Form, teils mit schneidend scharfen hohen Tönen der 1. Violine. Der dritte Teil des Satzes greift den ersten auf, aber sehr verändert: Die Einleitung ist nun nicht ‚Ausbruch einer unheimlichen Kraft‘, sondern von mildem Glanz überzogen, ebenso das erste Thema. Das Zwischenstück zwischen erstem und zweitem Thema aber behält seine wild gezackten Motive bei. Für das zweite Thema gilt der gleiche Wechsel in der Stimmung wie im ersten Satzteil. Wenn sich im Schlussteil (Coda) noch einmal der fahle Klang behauptet ebenso wie der abrupte Wechsel von Dur nach Moll, wirkt der Schlussakkord in Dur, als könne nur eine konventionelle Schlussfloskel dem zwischen Dur und Moll flirrenden Spuk ein Ende bereiten - die Konvention als eine Art Rettungsanker.
Der Aufbau des Zweiten Satzes ist übersichtlich: A B A B A. Ein schlichtes, elegisch gestimmtes Lied wird vom Cello vorgestellt (A):
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Dazu steht im Kontrast ein Zwischenstück (B) von ungeheurer dramatischer Wucht und schneidender Schärfe. Wie im ‚Ersten Satz‘ „bricht der Schmerz in punktierten Rhythmen und Fortissimo-Klangballungen hervor“ (s.o.). Dann wieder das Lied in einem sanfteren Ton noch als beim ersten Mal. Die Wiederholung des Zwischenstücks wirkt dagegen noch schneidender. Beim dritten Mal wird das liedhafte Thema zunehmend in helleres Licht gerückt, aber es bleibt ein Ringen von Moll und Dur, das trotz einiger schroffer Akkorde kurz vor dem Ende für ein warmes Dur entschieden wird.
Nach den Ausbrüchen der beiden ersten Sätze folgt mit dem Scherzo die heitere Entspannung: in Musik gefasstes sommernächtliches Spuk- und Elfenwesen, wie es in einer Reihe von Mendelssohn-Scherzi herrscht, so in op. 13 von1827, also einem Jahr nach op. 161. Wie bei einem Scherzo üblich, umfasst dieses köstliche Elfenstück (A) einen ‚Trio’ genannten lyrisch gestimmten Mittelteil (B): eine rührend schöne Ländler-Melodie, begleitet mit feinster kompositorischer Finesse. Gliederung also des Scherzos: A B A.
Auch das Finale besticht durch die Art, wie aufs Feinste die vier Stimmen des Quartetts miteinander verwebt sind. In diesem Satz wird ein riesiger Reichtum an Ideen, eine Fülle unterschiedlichster Themen und Motive durch den (je nach Interpretation rasanten oder beschwingten) 6/8-Rhythmus zu einer Einheit zusammengefasst, dass man fortgerissen wird von dem endlosen Strom der 6/8-Bewegung und leicht versäumen könnte, jedes einzelne Besondere in diesem Vorbeieilen zu erfassen. Das Hauptthema
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bei seiner Abwärtsbewegung in Moll, bei der Aufwärtsbewegung in Dur stehend, wird zweimal abgewandelt; die erste Abwandlung:
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die zweite:
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Mit einem neuen Thema
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wird der erste Teil des Satzes beendet - innerhalb einer Minute von den gut neun, die das Finale lang ist. Trotzdem wäre genügend an Themen und Motiven vorhanden, um mit ihnen einen grandiosen zweiten Teil des Satzes zu bilden. Es entwickeln sich aber zusätzlich noch eine Reihe von Themen mit eigenständigem Profil: eines, das recht munter klingt:
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ein zweites, das durch den Halbtonschritt abwärts charakterisiert ist:
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Ein drittes klingt heiter:
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Und ein viertes bringt einen neuen Ton, eine eindringliche Klage, von der 2. Violine angestimmt:
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Zweimal schaffen in diesem ruhelosen Vorwärtsdrängen einige Takte lang breite Akkorde einen Moment der Ruhe. Der dritte Teil des Satzes greift auf die Themen der ersten Minute zurück. Auch er ist nicht länger, so dass zwei sehr kurze Teile den gewaltigen Mittelteil umrahmen.
März 2019
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D 810 d-Moll ('Der Tod und das Mädchen')
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