Maurice Ravel: (1875-1937)
Sonate für Violine und Klavier G-Dur
Allegretto Blues: Moderato Perpetuum mobile: Allegro
Oft zeichnen sich Spätwerke in der Musik durch Konzentration auf das Wesentliche, durch einen Verzicht auf Klangfülle, auf das Klanglich-Gefällige aus; sie suchen den Ausdrucksbereich zu erweitern und im Kompositionstechnischen neue Wege zu gehen. Ein solches Spätwerk ist Ravels 1927 vollendete Violinsonate. Die Kargheit in der Musik von Eric Satie war ihm mehr Vorbild als der Klangrausch Richard Wagners. Kargheit bestimmt die Behandlung des Klaviers in der Violinsonate: nicht vollgriffige Akkorde, sondern Transparenz durch Zwei- und Dreistimmigkeit. So auch im Zusammenklang mit der Geige; alles ist leicht, luftig, durchsichtig.
Das gilt für den ersten Teil des Ersten Satzes, in dem die Themen vorgestellt werden, das gilt für den zweiten Teil (‚Durchführung‘), in dem vor allem das Hauptthema abgewandelt wird. Schon während dieses Hauptthemas
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wird das Empfinden von Leichtigkeit irritiert durch ein neckisches Klopfen, das den ganzen Satz hindurch immer wieder hörbar wird. Ein kurzes neues Motiv leitet zum weitgespannten bezaubernden Seitenthema über, das von glockenartigen Klängen des Klaviers begleitet wird. Die Durchführung erfährt eine Steigerung zum Fortissimo und klingt aus mit einem Fugato im Klavier, leise begleitet von Tremolo-Figuren der Geige. Der dritte Teil des Satzes beginnt mit Veränderungen des Seitenthemas, das Hauptthema dient dabei als Begleitung und beschließt dann den Satz mit einer schönen Coda.
Im Zweiten Satz greift Ravel eine typische Blues-Floskel auf,
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die für den Satz bestimmend bleibt. Aus dieser Floskel entwickelt er eine Jazzmelodie und wie Improvisationen wirkende Wiederholungen dieser Melodie. Dies kommt der Jazzmusik Nordamerikas ziemlich nahe, und ist doch nicht eine Kopie, sondern echter Ravel. „Ich habe zwar diese populäre Form Ihrer Musik übernommen“, sagt Ravel 1928 in den USA, „aber ich wage zu behaupten, dass die Musik, die ich geschrieben habe, trotzdem französisch ist, Ravels Musik. Diese volkstümlichen Formen sind in Wirklichkeit nur Baumaterialien.“ In dem leisen, zarten Mittelteil wird dies vornehmlich deutlich: die Violine spielt zunächst nur pizzicato, dann folgt eine typisch Ravelsche Melodie-Linie, die den Rhythmus der Jazzbegleitung ein wenig durcheinanderbringt. Im dritten Teil tritt das Jazzische wieder, nun recht lautstark, in den Vordergrund; um so feiner wirkt das Piano der Coda, die die Anfangs-Floskel ein letztes Mal aufgreift.
Zu Beginn des Dritten Satzes wird im Wechsel von Klavier und Violine vorsichtig die Figur, die zum Perpetuum mobile der Geige wird, ausprobiert. Einmal gefunden, wird sie unaufhörlich und unerbittlich weitergeführt bis zum Ende hin. Nicht stören sie Einwürfe des Klaviers im Diskant oder ein ostinates Motiv in der tiefen Lage des Klaviers. Schließlich aber holt das Klavier das Perpetuum mobile ein, will es übertönen, und es kommt zu einer Steigerung bis hin zum kräftigen Schluss.
Oktober 2013
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