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Rebecca Clarke (1886-1979)
Sonate für Viola und Klavier
Impetuoso Vivace Adagio - Agitato
Rebecca Clarke, eine Engländerin, die seit 1939 in den USA lebte, war eine bekannte Solistin auf der Bratsche und hat alle Möglichkeiten dieses Instruments in ihrer Sonate ausgelotet. Als Komponistin war sie der Musik des 19. und frühen 20. Jahrhunderts verpflichtet. Stilistische Anklänge gibt es u. a. an Brahms, César Franck und die Impressionisten. Sie hatte die Viola-Sonate 1919 anonym zu einem Wettbewerb eingeschickt. Die Juroren vermuteten, dass Maurice Ravel der Komponist sei. Eine Augenzeugin berichtete: ‚Sie hätten die Gesichter sehen sollen, als die Juroren sahen, dass die Sonate von einer Frau stammte!’. Komponierende Frauen waren auch noch Anfang des 20. Jahrhunderts etwas Ungewöhnliches, und wenn sie schon komponierten, sollten sie sich auf Kleinformen beschränken – das mag mit ein Grund sein, warum Rebecca Clarke kein Konzert, keine Sinfonie, kein Chorwerk geschaffen hat und darum kaum bekannt geworden ist.
Clarke stellt ihrem Werk ein Motto aus Alfred de Mussets Gedicht ,La Nuit de Mai’ voran, das schon Saint-Saëns inspiriert hatte: ‚Dichter, nimm deine Laute; der Wein der Jugend gärt heut Nacht in den Adern Gottes’. Entsprechend voller Leidenschaft ist diese Sonate; es ist aufregende, gefühlsintensive Musik, „die sich bis zum Sinnesrausch und zur Explosion von Emotionen steigert“ (booklet Lindemann).
Der Erste Satz steht in der klassischen Sonatenform mit einer kurzen, wie improvisiert wirkenden Introduktion, mit einem leidenschaftlichen Hauptthema von großem Schwung,
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in dessen Verlauf man sich an die berühmte Violinsonate von César Franck erinnert, und mit einem elegischen zweiten Thema, das vom Klavier solo eingeführt wird:
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Der Mittelteil des Satzes, der Teile des Hauptthemas verändert und neu zusammensetzt, wird mit Anklängen an die Introduktion eingeführt und auch beendet. Der dritte Teil eines solchen Sonatensatzes greift den ersten wieder auf, in der klassischen Zeit nur wenig verändert. Beim zweiten Thema hält sich Rebecca Clarke nicht an diese Tradition. Schon die Vortragsbezeichnung ‚appassionato‘ weist darauf hin, dass dieses zweite Thema, das im ersten Teil ruhig, ja kontemplativ wirkte, nun mit großen Gesten, vor allem im Klavier, bereichert wird. Die süß-impressionistische Coda klingt im ppp aus.
Der Zweite Satz, ein Scherzo, besteht aus spritzigen Eckteilen
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und einem impressionistischen Mittelteil mit einer getragenen Melodie der Viola
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und einer Begleitung, die an einen im Mondschein plätschernden Bach denken lässt. Zwischen diesem Mittelteil und der – veränderten - Wiederholung des Eckteils wird ein Übergang eingeschoben, der Motive des Eckteils übernimmt, aber die Zartheit des Mittelteils beibehält. Diese Zartheit wird auch wirksam, wenn mit der Melodie des Mittelteils die Coda eingeleitet wird.
Der Dritte Satz besteht aus zwei Teilen, einem langsamen und einem schnellen. Verklammert sind sie durch ein gemeinsames Hauptthema, das durch den Kirchentonart-Stil besonders eindringlich wirkt:
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Es dominiert mit seinen Abwandlungen den gesamten ersten Teil; in einem Mittelstück bleibt Raum für andere Klänge. Ein ebenfalls vom Hauptthema geprägtes ‚Allegro‘ führt zum ‚Agitato‘, das sein Tonmaterial der langsamen Einleitung des Ersten Satzes entnommen hat. Es steigert sich zu einem großen Fortissimo, dem ein besinnliches Zwischenstück (‚Quasi pastorale‘) folgt. Nach einerrezitativähnlichen Passage (‚Quasi fantasia‘) wird das durch einen Quintsprung abwärts charakterisierte ‚Allegro‘ aufgegriffen und drängt hin zum Hauptthema, das zuerst in mächtigem Fortissimo, dann leise-verhalten erscheint. Das ‚Agitato‘ wird noch einmal aufgegriffen und bildet, sich steigernd, die abrupt abbrechende Coda.
Februar 2019
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Clarke Kammermusik
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