Joseph Haydn (1732-1809)
Streichquartett g-Moll op. 74/3 (‚Reiterquartett‘)
Allegro non troppo Largo assai Menuett: Allegretto Allegro con brio
„Dieses Gepräge eines großen Genies findet sich vorzüglich in jenen neuern Quartetten, welche er für den Hrn. Grafen von Apponyi geschrieben hat." (Jahrbuch der Tonkunst von Wien und Prag 1796). Gemeint sind die sechs Quartette op. 71,1-3/74,1-3 die 1793 entstanden waren und von denen das in g-Moll das beliebteste ist. Die Opus-Zählung verwirrt etwas, da Haydn die zusammengehörenden sechs Quartette in zwei Heften herausgeben ließ.
Aufspringende Oktaven mit kurzen Vorschlägen bilden die Einleitung des Ersten Satzes von op. 74/3:
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Man liest: wegen dieser Oktaven und wegen des jagenden Rhythmus‘ im ‚Finale‘ sei das Quartett - von wem auch immer, wahrscheinlich vom Herausgeber - ‚Reiterquartett‘ genannt worden. Wenn man schon den Vergleich von Musik hier und Pferd und Reiter dort ziehen will, so ist bei den aufspringenden Oktaven eher an ein fröhlich auf der Wiese umherspringendes Fohlen zu denken – ein Reiter hätte hier keine Chance. Fröhlich und übermütig ist denn auch der Tenor des gesamten Satzes. Aber zunächst – um weiter die Pferde-Metapher zu strapazieren - bleibt das Fohlen wie angewurzelt stehen (2 Takte Pause), dann ein eher vorsichtiges Um-sich-Schauen (dreimal die verminderte Quart abwärts als Hauptmotiv), erleichterte Runden über die ganze Wiese (die durchgängigen Triolen) und wieder das quicklebendige, muntere Springen (das Seitenthema). Man kann Vergleiche auch ‚totreiten‘; genug also von den Fohlen-Metaphern. Grandios ist der Mittelteil, der in seiner Funktion, das bisher Vorgestellte in neuer Gestalt zu zeigen, sich zunächst das springlebendige Einleitungsmotiv vornimmt, dann noch kurz das Seitenthema und das Hauptthema streift. Der dritte Teil greift auf den ersten zurück und ändert sich ihm gegenüber nur wenig.
Das Largo war bei der ersten Aufführung 1794 beim Londoner Publikum eine Sensation. Es ist ein Satz von ergreifend tiefem Ernst. Das Moll des Mittelteils (Aufbau: ABA‘) hat zunächst die Wirkung von Fahlheit und Traurigkeit. „Dann nimmt die Musik fast schon die harmonische Farbigkeit und Tragik Schubertscher Quartettsätze vorweg.“ (Villa Musica) Ungewöhnlich für Haydn ist das Tremolo im Schluss-Eckteil A‘, das zusammen mit den vermehrten Verzierungen der 1. Violine diesen Teil vom ersten unterscheidet.
Auch das Menuett ist dreigeteilt: Die eigentlichen Menuett-Sätze umrahmen den Mittelteil (‚Trio‘). Während aber im ‚Largo‘ die drei Teile von der gleichen Stimmung getragen sind, unterscheidet sich hier das ernsthafte, nachdenkliche ‚Trio‘ von den unaufgeregt-freundlichen, ja munteren Ecksätzen.
Spannungsgeladen durch die Synkopen und ein düsteres Moll erscheint das Hauptthema des Vierten Satzes wie ein Fremdkörper in dem ansonsten durch Helligkeit und Heiterkeit – vor allem beim Seitenthema – sich auszeichnenden ersten Teil des Satzes. Aber gerade dieser Kontrast passt zum geistreichen Witz und zur guten Laune dieses letzten Satzes. Ungemein geistreich ist denn auch die Verarbeitung des Hauptthemas im zweiten Teil, die am Ende den Zuhörer mit einem dramatischen Fortissimo von vier Takten überfällt. Der dritte Teil greift mit einigen schönen Veränderungen den ersten wieder auf. Eine hübsche Coda beschließt dieses in seiner Leichtigkeit und Lebendigkeit großartige Kunstwerk.
August 2020
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