Paul Hindemith (1895-1963)
Quartett für Klarinette, Violine, Violoncello und Klavier
Mäßig bewegt Sehr langsam Mäßig bewegt - Lebhaft - Ruhig bewegt - Sehr lebhaft
Die Entstehung dieses Quartetts hat eine bewegte Geschichte: Die gegen Hindemith gerichtete nationalsozialistische Propaganda und die Aufführungsverbote zwangen ihn im Jahr 1938 ins Exil, zunächst in die Schweiz, dann, zwei Jahre später, in die USA. Während der Suche nach einem passenden Exil-Ort schrieb er das Klarinettenquartett: Auf der Rückreise von seiner zweiten USA-Tournee April 1938 den Ersten Satz, während der Auflösung seines Berliner Haushalts und auf der Suche nach einem Ort für ein Exil in der Schweiz die weiteren Sätze. Die Uraufführung des Klarinettenquartetts erfolgte April 1939 in New York. In einem Brief an seine Frau (15. April 1939) charakterisierte er das in solchen Wirren entstandene Quartett: Es mache sich sehr gut. „Es ist ein ziemlicher Brocken Musik, klingt ganz schön und dürfte einen guten Eindruck hinterlassen.“
Über den auf der Seereise geschriebenen Ersten Satz schreibt Claus-Christian Schuster, er sei „einer der herrlichsten Sätze Hindemiths“. Es ist ein klassischer Sonatensatz mit zwei Themen, einem ruhigen
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und einem lebhafteren,
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kanonähnlich vorgestellten, das von der Klarinette vorbereitet und zunächst vom Cello intoniert wird. Beendet wird der erste Teil mit einem längeren Spiel von herabfallenden Sechzehntel-Girlanden des Klaviers und konstrastierenden chromatisch bestimmten Einwürfen der übrigen Instrumente. Den Mittelteil beherrscht zunächst das zweite Thema, das mit viel kontrapunktischer Kunst eine große Steigerung erfährt. Diese mündet in die Wiederholung des ersten. Doch dieser dritte Teil belässt es nicht bei einfacher Wiederholung, so fehlt das zweite Thema, und insgesamt wirkt er zunehmend ruhiger, so dass das Besondere der Coda, ein langsameres Tempo und ein idyllischer Klang mit ein wenig Melancholie nicht überrascht.
Mit der Oper ‚Mathis der Maler‘ beginnt für Hindemith die Epoche der Meisterschaft; die heftige Opposition als Vertreter einer neuen Sachlichkeit weicht einem ruhigen, gelassenen, gelösten Stil, der offen ist für romantischen Ausdruck. Die endlos wirkende Kantilene des Zweiten Satzes (hier der Beginn)
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ist hier ein gutes Beispiel. In einem ersten Teil des Satzes wird die Klarinette begleitet und gestützt von den Streichern, während das Klavier Pianissimo-Akkorde einwirft. Im bewegteren Mittelteil führt das Unisono von Klarinette und Cello - nach einigen Takten kommt auch die Violine hinzu - zu einer neuen Klangfarbe. In der zweiten Hälfte erfährt der Mittelteil eine große, ja dramatische Steigerung, die sich gegen Ende, zum dritten Teil überleitend, beruhigt. In diesem dritten Teil wird die Melodie des ersten von der Klarinette wiederholt, aber sie wirkt wie alleingelassen, während die Streicher mit Pizzicati und das Klavier mit aufsteigenden Arabesken ihren eigenen Gedanken folgen. In der kurzen Coda setzen die Streicher wieder den Bogen ein und unterstützen nun die Klarinette bei ihren Schlussphrasen.
Der großartige Dritte Satz besteht aus vier Teilen, die durch deutliche Einschnitte voneinander getrennt sind: Mäßig bewegt - Lebhaft - Ruhig bewegt - Sehr lebhaft. Der erste Teil - Mäßig bewegt - fasziniert durch den Marschrhythmus und ein lebendiges Thema:
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Fortgesetzt wird er mit einer Episode von fesselnder Kontrapunktik: ein erstes Fugato (hier das Thema in der Klarinettenstimme)
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wirkt besonders eindrucksvoll, wenn die Violine in großer Höhe das Thema übernimmt. Auch beim zweiten Fugato
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besticht vor allem der Einsatz der Violine. Den Abschluss dieses ersten Abschnitts bildet ein drittes, nun absinkendes Thema,
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das einen Kontrast bildet zur Munterkeit, ja Ausgelassenheit des zweiten Teils (Lebhaft, hier dessen erstes Thema):
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Ein zweites Thema ist durch eine abfallende Quint charakterisiert:
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Dem folgen ein Mittelstück, eine sehr veränderte Wiederholung des munteren Abschnitts und eine feierliche Coda - Es findet sich also im zweiten Teil des Finales - konzentriert auf knapp vier Minuten - ein eigener klassischer Sonatensatz. Im besinnlichen dritten Teil des Finalsatzes (Ruhig bewegt) - wird zweimal ein Thema vom Klavier solo vorgestellt und vom Unisono der Geige und Klarinette aufgegriffen. In einem sehr lyrischen Ausklang schweigt das Klavier, das dann um so stürmischer den vierten Teil (Sehr lebhaft), eine recht wilde Coda, einleitet. Sie erinnert an die aufsteigenden Terzen des ersten Themas in diesem brillanten Finale.
August 2020
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sonstige Kammermusik / Streichquartett 3 op. 22
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