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Hübsche Ablenkung in schwieriger Zeit
Hugo Hartungs Lustspiel ‚Ich denke oft an Piroschka’ in Bergisch Gladbach


Die Älteren mögen sich darüber freuen, einer Gestalt wieder zu begegnen, von der sie sich in ihrer Jugend haben verzaubern lassen. Die Jüngeren mögen verwundert erfahren, woran die Eltern, die Großeltern ihre Freude hatten. Oder sie freuen sich auch selber an Piroschka, über die Yvonne Ruprecht, die Darstellerin der Piroschka in der Aufführung im ‚Bergischen Löwen,’ schreibt: „Die Unbedingtheit, mit der Piroschka ihrem Herzen folgt und alles wagt, beeindruckt mich sehr. Sie kämpft um ihre Liebe, kann aber auch loslassen.“

Die Geschichte von Piroschka schrieb Hartung zunächst als Kurzgeschichte (1949), dann als ein Hörspiel (1950), dann als einen Roman (1954), auf den sich diese Darstellung bezieht. Der Roman wurde Grundlage für die Verfilmung mit Liselotte Pulver (1956) und für ein Lustspiel in drei Akten (1958).

Hugo Hartung erzählt teils selbst Erlebtes, teils Erfundenes. Er hatte sich 1923 als Austauschstudent in Ungarn aufgehalten; und in seiner Phantasie wird er zum 21-jährigen Andreas, Student im ersten Semester, den es im Rahmen eines Studentenaustauschs für sechs Wochen in ein kleines ungarisches Dorf verschlägt. Auf der Fahrt dorthin hat er Greta, eine schicke, selbstbewusste junge Frau, kennengelernt, die, bevor sie in Griechenland sich verheiratet, am Plattensee Urlaub machen will. Die beiden kommen sich in einer Nacht in Budapest näher – in aller Unschuld versteht sich –, und Andreas gibt Greta seine Anschrift in jenem kleinen Dorf in der Puszta.

Ausgefüllt ist seine Zeit dort im Wesentlichen mit Sehnsucht nach Greta und mit der Hoffnung auf eine Nachricht von ihr. Deshalb hat er – so jedenfalls im Roman – kaum Augen für Piroschka, die 17-jährige Tochter des Bahnhofsvorstehers in seinem Puszta-Ort, ein herzerfrischendes Mädchen, das sich sehr für ihn interessiert. Endlich, nach fünf Wochen, kommt eine Einladung Gretas an den Plattensee, in gespannter Erwartung reist Andreas dorthin; und mit ihm - zu seiner großen Verärgerung – Piroschka; sie lässt sich nicht abwimmeln. Auch Greta ist verärgert, erkennt aber, was Andreas erst langsam aufdämmert, dass er nicht sie, sondern Piroschka liebt. In der letzten Woche im heimatlichen Dorf zieht Piroschka sich zurück, weil sie sich schuldig fühlt. Erst beim Abschied kommen sie sich näher.

Der Regisseur der Aufführung im Bergischen Löwen fragt sich angesichts dieser Geschichte (siehe Programmheft), „ob das Thema und die handelnden Personen noch relevant für uns heute sind“.

Relevant ist sicherlich die Erfahrung, dass Liebe an der Unreife junger Leute scheitern kann. Nicht Piroschka ist, obwohl erst 17, die Unreife. Unreif ist der Student Andreas, im Film von Gunnar Möller gespielt, der auch – nun in einer anderen Rolle – in Bergisch Gladbach auf der Bühne steht. Allzu spät, in der letzten Woche seines Ferienaufenthalts, erkennt er, welchen Schatz er an Piroschka hätte haben können. Nach einem intensiven Abschied lässt er sich von äußeren Umständen abhalten, wiederzukommen, obwohl er es ihr hoch und heilig versprochen hatte. Entlarvend die Rechtfertigung seines Verhaltens: „Vielleicht war es gut so. Denn wenn ich an Piroschka denke ..., ist sie immer jung und süß.“ - ein billiger Trost für versäumtes Glück.

Sigyn Hartung schrieb 1986 über die Entstehung der Piroschka-Geschichte im Jahr 1949: „Es war für uns eine Zeit der großen Not und Sorgen, und die Piroschka-Story war wohl eine Art Flucht in glückliche Jugendzeiten.“

Hugo Hartung hatte schlimme Erfahrungen hinter sich: Seit 1936 Schreibverbot, dann der Krieg, dann die Vertreibung aus Breslau. Er hat auch versucht, diese Erfahrungen literarisch zu verarbeiten (‚Die große belmontische Musik’, 1948; ‚Der Himmel war unten’, 1951; ‚Der Schütze Jasrich’, 1952). Diese Werke sind heute vergriffen.

So hatte er Grund für eine „Flucht in glückliche Jugendzeiten“. ‚Fluchthelfer’ sind zwei liebenswerte Eigenheiten Hartungs: Eine auffallende Scheu, die Härte der Wirklichkeit zu benennen, und ein - bisweilen etwas bitterer – Humor, der ihm hilft, diese Härte zu ertragen.

In seinem Roman ‚Wir Wunderkinder’ (1957), den er einen „dennoch heiteren Roman“ nennt, hat er diese Eigenheiten thematisiert: „War nicht aus der Sicht der Weltgeschichte ... alles nur noch ein närrisches, belachenswertes Spiel - und damit auch der Roman von unser aller Leben zum Schluss heiter?“

So erscheint auch in der Piroschka-Geschichte die Welt in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg wie mit Zuckerguss übergossen, im Film mehr noch als im Roman; Film und Theaterstück passten exakt zum Geist der 50er/60er Jahre, in denen die Menschen von Vergangenheitsbewältigung oder Kampf für eine bessere Zukunft nichts wissen wollten. Beschäftigt mit der aufreibenden Arbeit am Wirtschaftswunder wollten sie auf angenehme Weise unterhalten werden, aus der Wirklichkeit in Träume flüchten. „In einer Zeit, wo Besen nötig werden, streut man Gänseblümchen“, so deutete Peter Rühmkorf den damaligen Zeitgeist. Hugo Hartung streute Gänseblümchen und hatte mit ‚Piroschka’ Riesenerfolg.

So dürfen wir im Bergischen Löwen eine angenehm ablenkende Nettigkeit erwarten. Und warum sollte man etwas gegen Gänseblümchen haben?!

Dienstag, den 13. Mai 2003, 19.30 Uhr; Besetzung: Yvonne Ruprecht, Gunnar Möller u. a.
Regie: Peter M. Preissler



'Ich denke oft an Piroschka'

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