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Gedanken über eine Ode Hölderlins, aufgeschrieben zu Beginn meines Studiums

Hölderlin

Die Liebe

Wenn ihr Freunde vergeßt, wenn ihr die Euern all,
°°O ihr Dankbaren, sie, euere Dichter schmäht,
°°°°Gott vergeb es, doch ehret
°°°°°°Nur die Seele der Liebenden.

Denn o saget, wo lebt menschliches Leben sonst,
°°Da die knechtische jetzt alles, die Sorge, zwingt?
°°°°Darum wandelt der Gott auch
°°°°°°Sorglos über dem Haupt uns längst.

Doch, wie immer das Jahr kalt und gesanglos ist
°°Zur beschiedenen Zeit, aber aus weißem Feld
°°°°Grüne Halme doch sprossen,
°°°°°°Oft ein einsamer Vogel singt,

Wenn sich mählich der Wald dehnet, der Strom sich regt,
°°Schon die mildere Luft leise von Mittag weht
°°°°Zur erlesenen Stunde,
°°°°°°So ein Zeichen der schönern Zeit,

Die wir glauben, erwächst einziggenügsam noch,
°°Einzig edel und fromm über dem ehernen,
°°°°Wilden Boden die Liebe,
°°°°°°Gottes Tochter, von ihm allein.

Sei gesegnet, o sei, himmlische Pflanze, mir
°°Mit Gesange gepflegt, wenn des ätherischen
°°°°Nektars Kräfte dich nähren
°°°°°°Und der schöpfrische Strahl dich reift.

Wachs und werde zum Wald! eine beseeltere,
°°Vollentblühende Welt! Sprache der Liebenden
°°°°Sei die Sprache des Landes,
°°°°°Ihre Seele der Laut des Volks!




I. Die größte Sünde
Das Wesen der Liebe wird zunächst verdeutlicht durch den Blick auf ihr Gegenteil. Mit einer halb bittenden, halb drohenden Gebärde macht sich der Dichter zum Beschützer der Liebe, zum Beschützer der Seele der Liebenden; sich gegen die Seele der Liebenden vergehen, ist die größte aller Sünden, die Sünde, die nicht vergeben wird (Sünde wider den Hl. Geist: Mk 3,29; Matth. 12,32; Lk 12,10).
Um das Schreckliche eines solchen Vergehens mit Nachdruck zu unterstreichen, greift Hölderlin zu dem Mittel, dass er Verfehlungen aufzählt, die er für die schlimmsten halten muss: Freunde vergessen und Dichter schmähen. Wenn aber über das Schlimmste hinaus noch eine Steigerung nötig ist (schlimmer noch ist die Verunehrung der Liebenden), so wird deutlich: Der Frevel gegen die Ehre der Liebenden kann nie verziehen werden.

II. Die Welt der Toten als Folge dieser Sünde
Dieser Frevel ist so entsetzlich, weil der, der die Seele der Liebenden verunehrt, das menschliche Leben mordet (2. Strophe). Dieses Leben lebt in einer Zeit, in der rings um die Liebenden der Tod ist, nur noch in der Seele der Liebenden. Dem Tod volle Herrschaft einräumen, das macht den grässlichsten Frevel aus.

III. Die erste Ursache der Welt als einer toten
Was ist die Ursache für diesen Tod, der in jedem Augenblick das Leben bestimmt? Warum sind die Menschen die Sterblichen, sind sie tot wie die winterliche Natur? Wer brachte den Fluch? In der vorliegenden Ode gibt Hölderlin auf diese Frage keine Antworten, stellt nur fest: es ist den Menschen beschieden die Sterblichen zu sein; dies ist ihr Schicksal. - Später ist es nicht mehr Fluch, sondern Schicksal (Moira)

IV. Die Welt der Toten
Hölderlin gibt keine Antwort auf die Frage nach der Ursache dieses Fluchs, aber er gibt eine Analyse/Beschreibung: Die Attribute dieser durch den Tod bestimmten Wirklichkeit sind Sorge, Knechtschaft, Zwang, Winter, gottverlassen, ehern, wild, gesanglos, kalt.
‘Sorge’, ‘Sich-sorgen’ bedeutet: der Mensch bedarf der Dinge außer sich und besitzt sie doch nicht uneingeschränkt. Es besteht also eine grundsätzliche Trennung zwischen dem Menschen und den Dingen, derer er bedarf. Aus der Möglichkeit dieser Trennung zwischen ihm und den für ihn notwendigen Dingen ergibt sich die Sorge. Die absolute Trennung und damit die absolute Sorge trifft den Menschen, wenn das, dessen er außerhalb seiner bedarf, vergeht, wenn beispielsweise etwas, das zu einem gehört, stirbt. Die Vergänglichkeit aber liegt im Wesen der Dinge darum ist die Sorge immer absolut. Indem aber die Dinge, auf denen die Existenz des Menschen beruht, vergänglich sind, ist der Mensch vergänglich, sterblich; er hat, weil er Grund nimmt in Vergänglichem, kein Bleiben im Leben. Und weil der Mensch abhängig ist von dem, was außerhalb seiner ist, ist er unfrei (frei wäre er, wenn er den Grund seiner Existenz ausschließlich in sich selbst hätte, in sich selbst gegründet wäre.). Knechtschaft und Zwang bestimmen also sein Leben. Und ständig ist er im Kampf um das, was er zum Leben braucht: Krieg herrscht, die wilde eherne Zeit. Liebe im Sinne von vollkommener Vereinigung mit dem Gegenüber ist nicht möglich, das Ich ist vom Du getrennt. Nicht Harmonie zwischen Ich und Du bestimmt das Leben, sondern Erstarrung durch die Kälte eines ständigen Winters. Es gibt nur die Sehnsucht nach dem anderen.

V. Die Schönere Welt
Das Wissen um die Kälte einer solchen Welt hat der Mensch durch den Maßstab eines in ihn gelegten Ideals, das Ideal einer schöneren Welt. Erfahrbar könnte dieses Ideal werden in der Liebe, die frei ist von Sehnsucht und Sorge, weil der Liebende sich eins weiß mit dem Geliebten. So wird die Liebe für Hölderlin Zeichen der schönern Zeit, einer gotterfüllten Welt.
Schlüsselwörter zur Charakterisierung dieser schöneren Zeit sind für Hölderlin Leben, Frühling, Grün, Gesang, Mittag, erlesene Stunde, Genügsamkeit, Gottes Tochter, Sorglosigkeit, ätherischer Nektars, schöpfrischer Strahl, vollentblühende Welt, Reife.
‘Genügsamkeit meint z. B., dass der Liebende nicht mehr bedürftig ist, nicht mehr aus ist auf anderes außerhalb seiner. Denn er ist eins mit allem, was ist, so dass nichts mehr bleibt, um das er sich noch sorgen müsste. Eins sein mit allem, was ist, so definiert Hölderlin das Leben der Gottheit. Die Welt ist in diesem Zustand der Einheit, wenn Gott in ihr ist und sie in Gott, wenn Welt und Gottheit eins sind (Pantheismus).
Die Gottheit ist genügsam, weil sie als die Einheit von allem den Grund ihres Seins in sich selbst hat, und darum ist sie sorglos.
Der liebende Mensch ist göttlich, denn die Liebe, das Einssein mit dem anderen, ist das Leben der Gottheit. Die Liebe ist als Gottes Tochter - wesensgleich mit dem Vater, von ihm allein - etwas Göttliches.
Das Einssein mit allem, was ist, ergibt Harmonie, wird symbolisiert im Gesang. Die Menschen stehen nicht mehr sich gegenüber, und nicht mehr brauchen sie die Kluft, die zwischen ihnen besteht, durch Sprache zu überbrücken. Gesang bedeutet: Alle sind ein Herz und eine Seele (die Welt insgesamt ist beseelt), ein gemeinsamer Geist erfüllt sie alle, wie milde Luft, die alles durchdringt. In diesem Element des Geistes leben heißt für Hölderlin fromm sein.
In der Einheit mit allem, was ist, gibt es kein Angewiesensein auf Vergängliches, das außerhalb ist. Darum gibt es nicht den Tod, sondern vollkommenes Leben, vom schöpfrischen Strahl, von himmlischer Wärme gereift, ein menschliches Leben, das göttlich ist, das, genährt von himmlischer Speise und himmlischem Trank (Nektar), unsterblich ist. So wird das Leben des Frühlings, das nach dem Tode des Winters erscheint, zum Symbol der göttlichen Lebendigkeit: das Dehnen des Walds, das Sich-Regen des Stroms, das Wehen der Luft: Vollentblühende Welt, vollkommenes Leben.
Vollentblüht ist eine Blume nur in einem Augenblick, nur in der Mitte ihrer Zeit (Mittag), in der erlesenen Stunde. Dieser Augenblick aber ist ewig, denn die Zeit als Bedingung der Möglichkeit, dass das Ich sich den von ihm getrennten Dingen zuwenden konnte - dazu braucht es seine Zeit -, ist aufgehoben. Im ‘Ein und Alles’, wo es kein Sich-Zuwenden mehr gibt, gibt es auch keine Zeit. Das Schönere Leben ist das ewige Leben, das Leben der Gottheit.

VI. Die Liebenden als Refugium der Schöneren Welt während der exzentrischen Bahn
Dieses göttliche Leben, diese schönere, diese goldene Zeit, die eigentlich gar nicht Zeit genannt werden kann, gibt es dies wirklich oder ist es nur ein Traum, ein von Menschen erdachtes Ideal? Hölderlin glaubte an die Wirklichkeit einer solchen schöneren Zeit (die wir glauben) Es gab sie vor Beginn der Geschichte (Paradies) und wird am Ende der Geschichte wiederkommen. Nun kann man von der Ewigkeit nicht in diesen zeitlichen Kategorien sprechen: sie war und sie wird kommen, denn sie ist immer. aber sie hat sich während der geschichtlichen Zeit verborgen, den Menschen entzogen und wandelt .../Sorglos über dem Haupt uns längst. Und nur in der Liebe erscheint sie in unserer Zeit, wie in der Gestalt Christi die Ewigkeit in der Zeit erschienen ist. Nur bei den Liebenden ist dieses göttliche Leben.
Die Liebenden halten für die Menschen die Erinnerung wach an die Schönere Zeit, die als einmal gewesene verborgen anwesend ist und auf die Menschen zukommt. Die Liebenden sind das Zeichen der schöneren Zeit, damit der Mensch in der von Gott verlassenen Zeit nicht verzweifelt und nicht aufhört, sich zu bereiten für die schönere Zukunft. Ohne die Liebenden bliebe die Welt in winterlicher Erstarrung, nie käme ein neuer, endgültiger, immerwährender Frühling, weil die Menschen nicht für diese Zukunft bereitet wären.

VII. Die Aufgabe des Dichters
Die Menschen für das Zukommende bereiten, ist nach Hölderlin die Aufgabe auch des Dichters. Der Dichter weiß um die Schönere Zeit, er feiert ihr Gedächtnis in seinem Lied, indem er die Liebe feiert; so bereitet er die Unverborgenheit der schöneren kommenden Zeit, des Reiches Gottes, vor. Und weil ohne den Dichter die Menschen nicht bereit würden und das Reich Gottes nicht käme, ist auch die Schmähung des Dichters eine Sünde gegen göttliches Leben.

VIII. Die eschatologische Hoffnung
Dein Reich komme: nicht nur vereinzelt - im Leben der Liebenden - erscheine die Ewigkeit, sondern sie möge vollkommen offenbar werden, möge die Erde erneuern, kein Tod möge mehr sein, noch Trauer, noch Klage, noch Schmerz (Off. 21,4). Alle Menschen, das ganze Land sei vereint wie die Liebenden; Sprache der Liebenden/ Sei die Sprache des Landes. ‘Bald aber sind wir Gesang’ ist die zuversichtliche Hoffnung Hölderlins.

IX. Gedicht als Abglanz des Ewig-Schönen
Das Lied des Dichters bereitet, indem es die Hoffnung nennt, das Reich Gottes vor und ist - wie die Liebe - Zeichen der Schöneren Zeit. Der Inhalt des Gedichts ist feiernde Vorbereitung des göttlichen Lebens, der Ankunft des Ewig-Göttlichen. Die Gestalt des Gedichts ist in ihrer Schönheit Abglanz des Ewigen, ein Hereinscheinen der Ewigkeit in die Zeit, ein Stück Offenbarung des Göttlichen, das im diskursiven Sprechen nicht gefaßt werden kann. Ein Beispiel: die Mitte des Gedichts, die bei 28 Versen hinter V. 14 liegt: diese Fuge (=Harmonie), die durch das Aufeinanderstoßen zweier betonter Silben zwischen den Schlüsselwörtern Mittag und erleseneStunde entsteht, kann als Zeichen dieser Mitte, dieses Mittags, des ewigen Augenblicks gesehen werden.



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