3. Klassenarbeit 9c am 18. Dez. 1998 2 Unterrichtsstunden
Thema: Gedichtinterpretation (Gedichtvergleich) Heinrich Heine (1797 - 1856)
Ich weiß nicht, was soll es bedeuten ...
Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, Dass ich so traurig bin; Ein Mährchen aus alten Zeiten, Das kommt mir nicht aus dem Sinn.
Die Luft ist kühl und es dunkelt, Und ruhig fließt der Rhein; Der Gipfel des Berges funkelt Im Abendsonnenschein.
Die schönste Jungfrau sitzet Dort oben wunderbar, Ihr goldnes Geschmeide blitzet, Sie kämmt ihr goldnes Haar.
Sie kämmt es mit goldnem Kamme, Und singt ein Lied dabey; Das hat eine wundersame, Gewaltige Melodey.
Den Schiffer, im kleinen Schiffe, Ergreift es mit wildem Weh; Er schaut nicht die Felsenriffe, Er schaut nur hinauf in die Höh'.
Ich glaube, die Wellen verschlingen Am Ende Schiffer und Kahn; Und das hat mit ihrem Singen Die Lore-Ley gethan.
Ursula Krechel * 1947
Umsturz
Von heut an stell ich meine alten Schuhe nicht mehr ordentlich neben die Fußnoten 1) häng den Kopf beim Denken nicht mehr an den Haken fress keine Kreide. Hier die Fußstapfen im Schnee von gestern, vergesst sie ich hust nicht mehr mit Schalldämpfer hab keinen Bock meine Tinte mit Magermilch zu verwässern ich hock nicht mehr im Nest, versteck die Flatterflügel, damit ihr glauben könnt ihr habt sie mir gestutzt. Den leeren Käfig stellt mal ins historische Museum Abteilung Mensch weiblich.
1) ‘Fußnoten’ sind Anmerkungen unter einem Text.
Wolf Wondratschek * 1943
Für meine Mutter
Aus Cezannes 1) Äpfel hätte sie Apfelmus gemacht - das alles beeindruckt sie nicht, solange folgende Fragen ungeklärt sind: wer kocht und wäscht und sorgt für mein Kind? Das hat Vorrang vor aller Kunst. "Wenn ich sterbe" schreibt sie, "was dann?" Vom beigelegten Geld für ein gutes Essen kaufe ich Zigaretten und Papier, rauche und schreibe und liebe sie. Sie ist meine Bäuerin, sie kennt die Absturzstellen meiner Höhenflüge. So müsste das Leben sein: das Misslungene vollenden mit einem selbstgebackenen Kuchen und zwei Taschentüchern.
1) Cezanne: ein berühmter Maler, der auch ein Still-Leben mit Äpfeln gemalt hat.
Aufgabenstellung:
1. Was fällt dir beim Vergleich des Gedichts von Heine auf der einen und der Gedichte von Krechel und Wondratschek auf der anderen Seite an der äußeren Form unmittelbar auf? Beschreibe diesen auffallenden Unterschied!
2. Untersuche das Gedicht Heines! a) Schreibe die beiden ersten Strophen ab und schreibe unter jeden Vers die Zeichen für Silben, Akzente und Takte! b) Schreibe für diese beiden Strophen das Reimschema auf! Untersuche für die Aufgaben c) bis e) das gesamte Gedicht: c) Wo gibt es Alliteration (Schreibe die Wörter, die durch Alliteration verbunden sind, heraus!)? d) Wo gibt es Zäsuren (Schreibe die Verszahl hin!)? e) Wo gibt es Zeilensprung (Schreibe die Verszahlen der beiden entsprechenden Verse hin!)? f) Was versteht man unter ‘Vokalfarben’? g) Untersuche die Vokale und Konsonanten von Vers 11 und beschreibe ihre Wirkung (Wieso kann man sagen, diese Wirkung würde der eines Geschmeides entsprechen?)!
3. Stelle dar, worin sich das Frauenbild der drei Gedichte unterscheidet! Charakterisiere zunächst das Frauenbild jedes einzelnen Gedichts und vergleiche dann!
Hinweis zu Wolf Wondratschek ‚Für meine Mutter’ Wondratschek stellt seine Mutter als einfache Frau dar, als Bäuerin, die kein Kunstverständnis hat, die aber alles tut für ihr Kind, das auch als Erwachsener noch ihr Kind bleibt. Wichtiger als Kunst sind ihr die notwendigen alltäglichen Dinge, die ihr Kind braucht , z. B. ein frisches Taschentuch. Sie macht sich Sorgen um die Zukunft ihres Kindes, verzeiht seine Fehler, hilft trotz der Fehler (Zigaretten, Absturzstellen) und ist Trost bei Versagen (deshalb wird selbst das Misslingen positiv empfunden).
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