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Abschied im Walde bei Lübowitz
O Täler weit, o Höhen, O schöner, grüner Wald, Du meiner Lust und Wehen Andächtger Aufenthalt! Da draußen, stets betrogen, Saust die geschäftge Welt, Schlag noch einmal die Bogen Um mich, du grünes Zelt!
Wenn es beginnt zu tagen, Die Erde dampft und blinkt, Die Vögel lustig schlagen, Daß dir dein Herz erklingt: Da mag vergehn, verwehen Das trübe Erdenleid, Da sollst du auferstehen In junger Herrlichkeit!
Da steht im Wald geschrieben Ein stilles, ernstes Wort Von rechtem Tun und Lieben, Und was des Menschen Hort. Ich habe treu gelesen Die Worte, schlicht und wahr, Und durch mein ganzes Wesen Wards unaussprechlich klar.
Bald werd ich dich verlassen, Fremd in die Fremde gehn, Auf buntbewegten Gassen Des Lebens Schauspiel sehn; Und mitten in dem Leben Wird deines Ernsts Gewalt Mich Einsamen erheben, So wird mein Herz nicht alt. |
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Erläuterungen: Sund: Meerenge, Meeresstraße insbesondere Meerenge zwischen der dänischen Insel Seeland und der südschwedischen Küste (Öresund); mit ‘Anstreicher’ ist Hitler gemeint.
Die unterrichtlichen Voraussetzungen
Anlässlich der Besprechung von Magnus Enzensbergers Gedicht ‚das ende der eulen’, in dem der Mensch als Zerstörer der Natur nicht mehr für würdig befunden wird, beachtet zu werden (ich spreche nicht mehr von euch), wurde eine Gegenthese entwickelt, dass es auch heißen könnte: ich spreche nicht von der Schönheit der Natur, solange es menschliches Elend gibt. Dieses Gespräch war Anlass für die Auswahl der beiden Gedichte.
Diskutiert wurden in diesem Zusammenhang auch H. Heines Bemerkung „Die Blütezeit ist vorbei, es gehört dazu die idyllische Ruhe; Deutschland ist jetzt fortgerissen in die Bewegung ... der Kohlendampf verscheucht die Singvögel, und der Gasbeleuchtungsgestank verdirbt die duftende Mondnacht“ und Max Frischs Hinweis, dass eine bestimmte Lyrik „nur Ausflucht“ sei „in eine Welt nämlich, die schon gereimt ist“, dass er keine Lyrik wolle, „die nur die Beziehung zwischen den Gefühlen eines Individuums und der scheinbar heilen Natur kennt“. (zusammengestellt in: Hermes S. 9f.)
Erwartungshorizont
Im Gedicht Eichendorffs soll von den Schülern erkannt werden 1. die Funktion der Natur 2. die Situation der Wirklichkeit 3. der Gegensatz zwischen Natur und Lebenswirklichkeit und das Hineinwirken der Natur in diese Lebenswirklichkeit.
Die Schüler sind angehalten, zur Vergewisserung der Aussage den Inhalt der einzelnen Strophen wiederzugeben. Dabei werden sie erkennen, dass durch den Aufenthalt in der Natur an einem Frühlings- oder Sommermorgen das Ich die Kraft erhält zu einem rechten, schlichten, wahren Leben, in dem es die Gefährdungen und Verlockungen der Menschenwelt meiden kann.
Im einzelnen soll dann der Gegensatz zwischen Natur und geschäftger Welt mit ihrer Falschheit (betrogen) und Hektik (saust, buntbewegt) herausgearbeitet werden, und es soll aufgezeigt werden, in welcher Beziehung das Ich zur Natur steht, die verstanden werden muss als die beschützende (Zelt, Hort), die tröstende (V.30f.), die andächtig verehrte, die gewaltig erhebende (Ernsts Gewalt, junge Herrlichkeit), die Maßstäbe setzende Natur (stilles, ernstes Wort).
Die romantische Sehnsucht nach einer idealen Welt bestimmt den Ton des Gedichts, freilich in der für Eichendorff besonderen Weise, dass diese Sehnsucht nicht zum völligen Aufgehen in einer metaphysischen Welt als der eigentlich wahren führt, sondern dass das lyrische Ich im Hier und Jetzt sich einrichtet - gerade mit Hilfe der Maßstäbe jener Welt.
Erarbeitet werden soll auch die Gestalt des Gedichts mit dem Ergebnis, dass das Gedicht nach Absicht des Autors in seiner ‚Schlichtheit’ selbst wie ein Stück Natur erscheinen soll und in seiner Gestalt die Erfahrung, die der Autor im Wald bei Lübowitz macht, widerspiegelt.
Zum Vergleich Es wäre sinnvoll, wenn die Schüler zunächst auf eine wesentliche Ähnlichkeit zwischen den beiden Gedichten hinweisen würden: nämlich darauf, dass bei Eichendorff wie bei Brecht auch das trübe Erdenleid (2. Strophe) Thema des Gedichts ist. Bei Eichendorff wird es nur genannt, es bleibt als bedrohlicher Hintergrund in allen Strophen präsent (1. Strophe die geschäftge Welt, stets betrogen; 4. Strophe: fremd in der Fremde das alt gewordene Herz; in der 3. Strophe als unausgesprochenes Gegenbild zum rechten Tun und Lieben). Brecht dagegen gestaltet das Erdenleid im Bild des verkrüppelten Baums, des rissigen Garnnetzes der Fischer und der gekrümmten Häuslerin.
Der entscheidende Unterschied aber liegt darin, dass der Sprecher des Gedichts bei Brecht zwar auch dem Schönen sich zuwenden möchte (Die grünen Boote und die lustigen Segel; die Brüste der Mädchen; der blühende Apfelbaum), zwar auch in der Erfahrung des Schönen glücklich sein möchte (und damit auch beliebt), dass er aber das Schöne nicht zur Kenntnis nehmen will und kann, da das Entsetzen über die Reden des Anstreichers so groß ist, dass es alles Schöne verdrängt und das Ich nur noch dieses Entsetzen ausdrücken kann; die Möglichkeit, durch die Schönheit der Natur Trost, Mut und Ansporn zu einem wahren Leben zu erhalten, wie dies Eichendorff empfindet, ist ihm versagt.
Gesehen werden soll von den Schülern auch der Unterschied in der Gestaltung, zumal das Brecht-Gedicht selbst einen Anstoß dazu gibt: Brechts ‚reimlose Lyrik’ wird hier damit begründet, dass Entsetzen nicht durch Wohlklang ausgedrückt werden kann und dass in einer solch entsetzlichen Welt der Reim nicht Symbol des Einklangs von Mensch und Umwelt sein kann. Die Schüler müssten aber nicht nur das Fehlen der Reime bemerken, sondern auch das Besondere der freien Rhythmen und zumindest auch den Zug zu Sachlichkeit und Nüchternheit in der Formulierung.
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