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Die ‚Alte Dame’ besucht Bergisch Gladbach
Aufführung von Dürrenmatts ‚Tragischer Komödie’ durch das ‚Theater Greve’, Hamburg

Ist Bergisch Gladbach wie ‚Güllen’, also wie die Stadt, die in Dürrenmatts Stück von der alten Dame heimgesucht wird? Sind wir alle Güllener, also Menschen, hinter deren Fassade von Wohlanständigkeit das Böse mächtig wird, wenn die Not nur groß genug ist?

Die Güllener ermorden im Kollektiv kaltblütig einen Menschen, weil dieser Mord ihnen Wohlstand bringt. So grotesk überzogen wie auf der Bühne ist das wirkliche Leben nur ausnahmsweise. Dass aber die Menschen auch in der Wirklichkeit nicht pingelig, dass ihre Moralvorstellungen höchst dehnbar sind, wenn es um ihren Vorteil geht, das ist die pessimistische Botschaft von Dürrenmatts ‚Der Besuch der alten Dame’.

Darum geht es im Stück: Alfred Ill (vom Engl. ‚ill’: krank) hatte Klara Wäscher verführt, ihr ein Kind gemacht, sie sitzen lassen, weil er eine bessere Partie im Auge hatte. Die Vaterschaftsklage Klaras wird vor Gericht abgewiesen, weil Ill zwei Männer besticht, einen Meineid zu leisten und zu behaupten, sie hätten mit Klara geschlafen. Klara verlässt das Städtchen unter dem Gespött der Bewohner - es ist das Jahr 1910 -, wird durch verschiedene Heiraten so unendlich reich, dass sie sich an Ill und an den Güllener rächen kann: Sie kauft die Wirtschaftsbetriebe Güllens auf, sorgt für deren Bankrott; das ehemals florierende Güllen ist ruiniert, verarmt. Dann, nach fünfundvierzig Jahren, also 1955 (Uraufführung der Komödie: 1956), kommt sie als Claire Zachanassian zurück, bietet jedem einzelnen Güllener und der Stadt Reichtum und Wohlstand, wenn denn die Güllener Ill töten. Moralische Empörung zunächst („Lieber bleiben wir arm denn blutbefleckt“), bald dann schon Kreditaufnahme mit Blick auf die Ermordung. Die folgt dann auch ganz konsequent.

Güllen hält sich für eine Kulturstadt, eine Stadt der Humanität, eine Stadt der Menschenrechtsideale. Als die alte Dame Ills Ermordung fordert, hält ihr der Bürgermeister stolz entgegen: „Sie vergessen, dass Sie sich in Güllen befinden. In einer Stadt mit humanistischer Tradition ... Diese Werte verpflichten ... Wir leben schließlich in einem Rechtsstaat.“

Nun haben die Güllener ein Problem: Wie kann man an das Geld der Claire Zachanassian kommen und doch den guten Ruf und das gute Gewissen als ein sanftes Ruhekissen – vor der Weltöffentlichkeit und auch vor sich selbst – nicht aufgeben.

Hochaktuell ist die Art, wie die Güllener dieses Problem lösen: Der Feind - hier ist es Alfred Ill - wird zum Bösen schlechthin hochstilisiert; man selbst stilisiert sich als die Guten, die mit der Beseitigung jenes ‚Schurken’ ein Werk der Gerechtigkeit vollziehen. („rottet das Böse aus aus eurer Mitte“). Tatsächlich ist Ill der einzige in Güllen, der auf sein Gewissen zu hören und zu seiner Schuld zu stehen lernt.

Mit scheinheiliger Feierlichkeit rechtfertigen sie die Ermordung Ills: „Nicht des Geldes - sondern der Gerechtigkeit wegen - und aus Gewissensnot - Denn wir können nicht leben, wenn wir ein Verbrechen unter uns dulden.“ In Wirklichkeit aber bestätigen sie die Überzeugung der alten Dame: „Man kann alles kaufen.“

So kommt es zu dieser entsetzlichen Verlogenheit, die das Wesen der Güllener ausmacht, die von der ersten Szene an Denken und Reden der Güllener bestimmt. Ihre Verlogenheit stinkt zum Himmel wie Gülle (Jauche).

Diese Amoralität – Geldgier gepaart mit Verlogenheit – ist so ungeheuerlich, dass sie auf der Bühne nur als Groteske, als groteske Verzerrung aller humanistischen Ideale dargestellt werden kann.

Das Geschehen auf der Weltbühne heutzutage, wo die Gier nach Macht und Reichtum durch angebliches Eintreten für Freiheit, Demokratie und Gerechtigkeit verschleiert wird, ist nicht minder ungeheuerlich. Grotesk sind vor allem die biedermännischen Züge, mit der dieses Ungeheuerliche auftritt.

Zurück zu den Güllenern: Wie konnte es dazu kommen, wie konnten biedere Kleinbürger ihr Gewissen verleugnen und verlogene Mörder werden?

Es ist die Macht des Kollektiven, die alle Bedenken vergessen lässt. Wenn Menschen sich einmal daran gewöhnt haben, alle dasselbe zu denken, in der Uniformität aufzugehen, dann versagt das eigenständige Denken und das persönliche Gewissen. Keiner steht mehr für sich selber ein. Sie mögen ja meinen, dass sie eigenständig dächten, in Wirklichkeit denken sie im Kollektiv. Auf der Bühne ist es eindeutig zu vernehmen: Oft sprechen die Güllener im Chor, am Ende ausdrücklich wie der Chor der griechischen Tragödie.

Auch hier ist das Stück hochaktuell: Jeder glaubt seine eigene Meinung zu haben und merkt nicht, dass er nur verinnerlicht hat, was zu denken gerade ‚in’ ist. Entnommen hat er sein Denken den Medien, die recht konform verbreiten, was gerade herrschende Meinung ist. Wie es zu einer solchen herrschenden Meinung kommt, bleibt im Grunde rätselhaft. Eine Erklärung: Sie entsteht, weil einer mächtigen Gruppe diese Meinung nützt - wie den Güllenern die Meinung nützt, es sei ein Akt der Gerechtigkeit, Ill zu töten. Ihr Gewissen geht auf in dieser kollektiven Meinung und dies um so leichter und schneller, als nicht nur eine Gruppe von ihr profitiert, sondern alle Güllener; allen „brennt die Milliarde in ihren Herzen“.

Dienstag, den 25. März 2003, 19.30 Uhr im ‚Bergischen Löwen’



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