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Galileo Galilei - Bertolt Brecht
„Von der Verantwortung des Wissenschaftlers“

Vortrag im Rahmen der Schloss-Stadt-Gespräche der ServiceResidenz Schloss Bensberg am Mittwoch, dem 28. März 2007;
zuletzt gehalten: Versöhnungskirche, Rösrath am 4. November 2009;

Referent: Dr. Peter Wieners

Meine Damen und Herren!

In diesem Jahr jähren sich zum 400. Mal Galileis Entdeckung der Mondberge, der Jupitermonde und die Folgerungen, die Galilei daraus zog und die das Weltbild seiner Zeit revolutionierten – Folgerungen, die er später widerrufen hat, aus Verantwortungslosigkeit, aus Feigheit, aus Klugheit, aus List?

Eine wesentliche Auseinandersetzung mit Galilei und seinem Widerruf hat Bertolt Brecht in seinem Drama ‚Leben des Galilei‘ geleistet; am Beispiel dieses großen Forschers und Gelehrten hat er, veranlasst durch den Abwurf der Atombomben über Hiroshima und Nagasaki, über die Verantwortung der Wissenschaftler diskutiert.
Wir brauchten heute nicht Atombomben aus Nordkorea, aus dem Iran oder in der Hand von Terroristen zu fürchten, hätten die Wissenschaftler sich verantwortungsbewusst geweigert, die Atombombe zu entwickeln.

Zunächst ein Blick auf Brecht, der zwar immer noch als der große Klassiker des 20. Jahrhunderts gilt, aber kaum noch gelesen und aufgeführt wird – völlig zu Unrecht, wie ich meine.
Sehen Sie einen kurzen Filmausschnitt aus dem Jahr 1947; er zeigt Brecht beim Verhör durch das Komitee für unamerikanische Umtriebe.
Nicht unmittelbar zum Thema gehörend, aber es schließt sich sofort an und ich verzichte ungern darauf: ein Blick auf eine zerstörte Stadt, vermutlich Berlin; dazu Brechts Kinderhymne, gesungen von dem, der sie vertont hat, Hanns Eisler. Der Text:

Anmut sparet nicht noch Mühe
Leidenschaft nicht noch Verstand
Dass ein gutes Deutschland blühe
Wie ein andres gutes Land.

Dass die Völker nicht erbleichen
Wie vor einer Räuberin
Sondern ihre Hände reichen
Uns wie andern Völkern hin.

Filmausschnitt Brecht vor dem Untersuchungsausschuss
Ich war und bin kein Mitglied irgendeiner kommunistischen Partei.
Stimmt es, dass Sie eine Anzahl sehr revolutionärer Gedichte, Stücke und anderer Schriften verfasst haben?
Ich habe im Kampf gegen Hitler eine Anzahl Gedichte, Lieder und Stücke geschrieben; und sie können aus diesem Grunde selbstverständlich als revolutionär betrachtet werden, weil ich selbstverständlich für den Sturz dieser Regierung war.

Das Englisch, das Brecht spricht, ist ja köstlich; vielleicht ein Zeichen, dass sich Brecht in Amerika nicht wohlfühlte;
köstlich auch und bewundernswert ist die List, mit der er der Fangfrage des Komitees ausweicht. Der Begriff ‚Revolution’ sollte ja eine Falle sein; denn Revolution konnte für die Mitglieder des Komitees nur etwas Kommunistisches sein. Und Brecht beschämte sie, indem er auf seinen Kampf gegen das Naziregime verweist.

Eine solche List fällt für Brecht unter den Titel ‚Maßnahmen gegen die Gewalt’; und Brecht hatte immer wieder solche Maßnahmen anwenden müssen, nicht nur um sich selbst zu schützen, sondern auch um die Wahrheit zu verbreiten auch dort, wo sie nicht gewünscht war.

Dieses listige Hintergehen der Gewalt kann bis zu einem Widerruf der Wahrheit führen.
Dafür mag eine kurze Geschichte Brechts stehen, die selbst den Titel ‚Maßnahmen gegen die Gewalt’ trägt:

Ich zitiere:
„Als Herr Keuner, der Denkende, sich in einem Saale vor vielen gegen die Gewalt aussprach, merkte er, wie die Leute vor ihm zurückwichen und weggingen. Er blickte sich um und sah hinter sich stehen - die Gewalt.„Was sagtest du?“ fragte ihn die Gewalt. „Ich sprach mich für die Gewalt aus“, antwortete Herr Keuner.
Als Herr Keuner (aus dem Saal) ...gegangen war, fragten ihn seine Schüler nach seinem Rückgrat. Herr Keuner antwortete: „Ich habe kein Rückgrat zum Zerschlagen. Gerade ich muss länger leben als die Gewalt.“
Diese Geschichte wird noch ein wenig weitergeführt, indem Herr Keuner seinen Schülern nun vom Schicksal des Herrn Egge berichtet. Zu diesem sei „in der Zeit der Illegalität“ ein Agent in die Wohnung gekommen, habe im Namen des Stadtbeherrschers alles samt der Wohnung zu sich genommen und von ihm Dienst verlangt, indem er gefragt habe: »Wirst du mir dienen?« Ohne zu antworten dient Egge „ihm sieben Jahre lang“. Erst als der Agent, „vom vielen Essen, Schlafen und Befehlen dick geworden“, gestorben ist, antwortet Herr Egge mit ‚Nein’.

Diese Geschichte erzählt auch Galilei in Brechts 1938/39 entstandenem Theaterstück ‚Leben des Galilei’ seinen Schülern, um ihnen zu erklären, warum er jahrelang seine von der Kirche bekämpften Forschungsergebnisse zurückhält.

In einer späteren Fassung seines Stücks hat er diese Geschichte wieder entfernt. Zu erklären, warum er dies getan hat, ist das zentrale Thema des heutigen Abends.

Vorweg aber noch eine andere Szene aus diesem Stück, die mir persönlich immer sehr wichtig war:
Galilei ist der Gewalt gewichen, der Gewalt in der Gestalt der Inquisition, des Machtmittels der katholischen Kirche. Er hat die Wahrheit widerrufen, weil er Angst hatte vor der Folter. Sein Schüler Andrea Sarti ist tief enttäuscht über seinen Lehrer und ruft aus: „Unglücklich das Land, das keine Helden hat.“ Und Galilei antwortet ihm: „Nein. Unglücklich das Land, das Helden nötig hat.“

Bertolt Brecht wurde 1898 hineingeboren in ein Land, das Helden nötig hatte. Als Schüler in Augsburg erhielt er einen Schulverweis, weil er sich gegen den Krieg gewandt hatte; die Tränen der Mütter der ersten Gefallenen hatten den 16-Jährigen zum Kriegsgegner gemacht.
In den zwanziger Jahren ging er nach Berlin, das wegweisende und pulsierende kulturelle Zentrum Deutschlands, ja Europas, und suchte dort Kontakt zu Künstlerkreisen. Dem künstlerischen Establishment trat der junge Mann, der sich mit ersten Veröffentlichungen schon einen Namen gemacht hatte, dabei mächtig auf die Füße.
Er wurde Marxist, trat aber nicht in die kommunistischen Partei ein.
Der Durchbruch zum Erfolgsautor gelang ihm 1928 mit der Aufführung der Dreigroschenoper in Berlin.
Mittlerweile wurde er terrorisiert durch Krawalle der Nationalsozialisten, denen er besonders verhasst war.
Seit dem Reichtagsbrand 1933 lebte Brecht im Exil - in Dänemark, Schweden, Finnland, ab Mitte 1941 in Amerika.
Im Exil hat er seine großen Theaterstücke geschrieben - ich nenne nur die Titel: ‚Leben des Galilei’, ‚Der gute Mensch von Sezuan’, ‚Mutter Courage und ihre Kinder’, Herr Puntila und sein Knecht Matti’, ,Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui’ und das mir liebste: ‚Der Kaukasische Kreidekreis’ mit seinem Thema: „Schrecklich ist die Verführung zur Güte“.
Brecht hat in dieser Zeit seine Stücke im wesentlichen für die Schublade geschrieben.
Nach dem Verhör im Jahr 1947, das Sie eben gesehen haben, verlässt er Amerika, wohnt in der Schweiz; die Einreisegenehmigung nach Westdeutschland wird ihm versagt. Seit 1949 erarbeitet er mit seinem Berliner Ensemble in Ostberlin vorbildliche Aufführungen seiner Stücke.
Das Verhältnis zur Staatsmacht, zur Kulturbürokratie der DDR wird immer gespannter.
1956 stirbt er an einem Herzinfarkt, hinterlassend neben vielen Stücken für die Bühne höchst lesbare Erzähl-Texte, großartige Gedichte und sehr genau durchformulierte theoretische Schriften.

Brechts erstes Exil-Drama; ‚Leben des Galilei’ eignet sich in besonderer Weise als Anschauung, wenn man sich mit der Frage nach der Verantwortung des Wissenschaftlers auseinandersetzen will. Es ist wohl das erste große Bühnenwerk der Literaturgeschichte, das einen Wissenschaftler in den Mittelpunkt rückt.
Das Problem der Verantwortung des Wissenschaftlers stellte sich für Brecht verschärft durch die Entwicklung der Kernphysik. Also möchte ich auf einige Repräsentanten dieser Wissenschaft kurz hinweisen, dann auch auf das Leben des historischen Galilei im Vergleich zum Galilei in Brechts Stück eingehen.
Es wird im Folgenden manchmal recht umständlich sein, den historischen Galilei und den Galilei aus Brechts Theaterstück auseinanderzuhalten, oft ist es auch nicht notwendig, soweit nämlich Brecht sich an das Leben des historischen Galilei gehalten hat.

Brecht hat seinem Stück ein Vorwort im Bänkelsang-Ton vorangeschickt und von den Schauspieler sprechen lassen; sein Schluss lautet:

„Wir hoffen, Sie leihen Ihr geneigtes Ohr
wenn nicht uns, so doch unserm Thema, bevor
infolge der nicht gelernten Lektion
auftritt die Atombombe in Person.

Nun ist die Bombe schon aufgetreten, August 1945 in Hiroshima und Nagasaki; und angesichts der politischen Situation z. B. im Iran geht die Angst um, dass sie erneut und noch unheilvoller auftritt als vor 64 Jahren.

Und welche Lektion sollten wir lernen, auch mit Hilfe von Brechts Stück?

Ich möchte dies verdeutlichen zunächst an der Einstellung, wie sie Edward Teller, der ‚Vater’ der Wasserstoff-Bombe, zu seinem Beruf hat. Der Gelehrte solle alles tun, was er tun könne, so argumentiert Teller. Dabei solle er sich keine Grenzen setzen. Wörtlich: „Dann hört unsere Verantwortung als Wissenschaftler auf.“

Am Ende unseres Theaterstücks vertritt jener Schüler Galileis, Andrea Sarti, der sich über das mangelnde Heldentum seines Lehrers beklagt hatte, diese Position: „Die Wissenschaft kennt nur ein Gebot: den wissenschaftlichen Beitrag.“

Aufgrund solcher Einstellung gibt es die überspitzte Formulierung: Aus einer genialen Idee eines Physikers wird immer eine Bombe.

Otto Hahn, der 1938 in Berlin die Atomkernspaltung entdeckte, fürchtete, dass seine Kollegen nur den wissenschaftlichen Beitrag, nicht die Verantwortung für das Ergebnis ihres Forschens im Sinn hätten; kurz nach seiner Entdeckung schrieb er an seine Kollegen: „Das kann doch Gott nicht wollen. Ihr Physiker werdet doch jetzt nicht etwa eine Uranbombe bauen. Wenn Hitler so eine Waffe bekommt, begehe ich Selbstmord.“
Hans Bethe, Nobelpreisträger des Jahres 1967, meinte, dass angesichts der Vernichtungskapazität der neuen Waffen ihr Einsatz selbst dann sich verbietet, wenn positive Ziele damit verfolgt werden sollten: „Sollen wir die Russen vom Wert der Persönlichkeit überzeugen, indem wir Millionen von ihnen umbringen? Wenn wir einen Krieg mit H-Bomben führen und gewinnen, wird sich die Geschichte nicht an die Ideale erinnern, für die wir kämpften, sondern an die Methode, die wir anwandten, um sie durchzusetzen. Diese Methode wird man mit der Kriegführung Dschingis Khans vergleichen.“

Zitieren möchte ich noch aus einem Fernsehinterview den Physiker Carl Friedrich Freiherr von Weizsäcker mit seiner Meinung, der Wissenschaftler müsse der erste sein, der ohne jedes Zögern sich dafür einsetzt, dass seine Wissenschaft in gutem Sinne verwendet und nicht missbraucht wird. Brecht lässt in seinem Stück Galilei sagen: „Ich halte dafür, dass das einzige Ziel der Wissenschaft darin besteht, die Mühseligkeit der menschlichen Existenz zu erleichtern.“

Einen letzten großen Physiker möchte ich in diesem Zusammenhang nennen, J. Robert Oppenheimer, der mit Hilfe von 150.000 Mitarbeitern die Atombombe entwickelt hatte, die auf Hiroshima und Nagasaki abgeworfen wurde. Zunächst hatte ihn die Angst, dass im Nazi-Deutschland die Bombe entwickelt würde, angetrieben; Bedenken, eine solche Bombe zu entwickeln, waren auch verdrängt worden durch seine Besessenheit, etwas völlig Neues in die Welt zu setzen.
Nach dem Abwurf aber weigerte er sich, an weiteren Entwicklungen von Massenvernichtungswaffen mitzuwirken, d. h. an der Wasserstoffbombe Tellers, die als Antwort auf den Atombombentest der Sowjetunion 1949 entwickelt wurde.
Oppenheimer musste sich, nachdem die Sowjetunion 1953 ihre Wasserstoffbombe getestet hatte, vor einem ähnlichen Komitee gegen ähnliche Vorwürfe rechtfertigen wie Brecht: ein Kommunist und damit ein Verräter an den USA zu sein.

Auch der historische Galilei hatte seinen Prozess; der nun gehört zu den großen Prozessen der Weltgeschichte, und wie viele dieser großen Prozesse wurde er geführt, weil die Herrschenden ihre Macht durch den Angeklagten gefährdet sahen, und darum war er wie viele dieser Prozesse ein Schauprozess.

Um Ihnen ein wenig die Gestalt des historischen Galilei näherzubringen, ein kurzer Filmausschnitt.
Zum Verständnis dieses Ausschnitts zuvor noch einige Informationen: Er beginnt mit einer Versuchsanordnung, die Galilei angeblich vom schiefen Turm von Pisa, wahrscheinlicher aber mit Hilfe der schiefen Ebenen durchgeführt hat. Es geht um die Frage nach der Fallgeschwindigkeit unterschiedlich schwerer Körper – ein klassisches Beispiel dafür, wie Galilei durch Experimentieren die Lehrmeinung des Aristoteles widerlegt.

Dieser griechische Philosoph aus dem 4. vorchristlichen Jahrhundert war die Autorität in Sachen Wissenschaft; der Satz ‚Er selbst hat es gesagt’ galt bis dahin als unumstößlicher Beweis.

In Pisa hatte Galilei 1589 – 25-jährig - für drei Jahre einen Lehrstuhl für Mathematik inne – für 60 Scudi im Jahr, während der Kollege von der medizinischen Fakultät 2000 verdiente. Galilei konnte dort nicht länger bleiben; wie Brecht einige hundert Jahre später hatte er die Autoritäten zu heftig attackiert; die gaben ihm den Spitznamen ‚Der Zänker’. Aber er hatte sich auch schon einen Namen gemacht - eine weitere Parallele zu Brechts Biographie – und bekam 1592 eine Professur an Venedigs Universität, die sich in Padua befand.
Dass er viel Zeit verlor durch seinen Lehrauftrag und durch zusätzlichen Privatunterricht, mit dem er sein Gehalt aufbessern musste, belastete ihn sehr.
1609, also vor 400 Jahren, baute er dort ein Fernrohr. Es war ein Jahr zuvor in Holland erfunden worden. Galilei hatte davon gehört und es wesentlich verbessert. Dann führte er es als eigene Erfindung dem Rat von Venedig vor.
Und da das Rohr für das Militärwesen höchst nützlich zu sein schien,
wurde Galileis Gehalt verdoppelt und ihm eine lebenslange Anstellung als Professor zugesichert.

Trotzdem nahm er ein Jahr später, 1610, eine Professur für Mathematik und Philosophie am Hof des Großherzogs der Toskana an. Großherzog war seit einem Jahr Cosimo II. aus der berühmten Florentiner Familie der Medici. Zu unterrichten brauchte Galilei jetzt nur noch die Prinzen dieser Medici-Familie wie er zuvor schon Cosimo unterrichtet hatte.

Den Prinzen hat er das Experiment mit den schiefen Ebenen sicher oft demonstriert ebenso wie seine Entdeckungen am Himmel, die er mit Hilfe des neuen Fernrohrs im Wesentlichen alle 1609 gemacht hatte – dafür war das Fernrohr tatsächlich höchst nützlich.

Filmausschnitt

Galileis große wissenschaftliche Leistung bestand neben seinen Entdeckungen und Erfindungen vor allem darin, dass er eine neue Methode der Physik begründete.
Bisher hatten Theologen und Philosophen die Natur erklärt. Galilei hielt sich an das, was er beobachten und messen konnte, wie wir eben gesehen haben. Die Ergebnisse brachte er mit Hilfe der Mathematik in gesetzmäßige Beziehungen. Gültigkeit im Bereich der Naturwissenschaft hatte für ihn nur, was er im Experiment, bei dem er die Natur auf messbare Einzelheiten reduzierte, erproben konnte. „Man muss messen, was messbar ist, messbar machen, was es nicht ist.“ so Galilei wörtlich.
Er war übrigens so besessen vom Messen, dass er, der auch ein Liebhaber großer Dichtung war, sogar die Hölle vermaß, nämlich die aus Dantes ‚Göttlicher Komödie’.

Wie radikal dieser Umbruch war zwischen der Erklärung der Natur durch die Theologie und Philosophie, also durch Maßstäbe jenseits der Physik, und der Erklärung der Natur durch die Physiker, kann man sich gar nicht so recht vorstellen, weil uns die Galileische Methode als völlig selbstverständlich und einzig möglich erscheint.

Die Naturwissenschaft war selbständig geworden, unabhängig von den Lehrmeinungen der Theologen und Philosophen. Und welchen Gebrauch sie von den Ergebnissen ihres Forschens machte, das hätte die Wissenschaft nun aus sich selbst bestimmen können, sie hätte neben wissenschaftlichen auch ethische Maßstäbe setzen können, so dass die Naturwissenschaftler eine Art moralischen Verhaltenskodex entwickelten mit dem Inhalt, dass sie sich verantwortlich fühlen müssten für ihr Forschen, dass dieses Forschen nur dem Wohl der Menschen diene dürfe.

Galilei war zu besessen von dem, was er erforschte - Forscherdrang nennt man dies ein wenig verharmlosend -, und er war zu stolz auf die Ergebnisse seiner Forschung, als dass sich ihm die Frage nach der Verantwortung für diese Ergebnisse seines Forschens hätte stellen können.

Er wollte Zeit und Geld für seine Forschung; deswegen verließ er ja Padua und bewarb sich beim Großherzog der Toskana. Seine Kalkulation: Fürsten führen Kriege und bauen Festungen, und also könne er seine Erkenntnisse und Erfindungen im Festungsbau und in der Waffentechnologie dem Großherzog der Toskana anbieten als Gegenleistung für Geld und Zeit.
Brecht lässt seinen Galilei sagen - und es passt recht gut zum historischen Galilei: „Ich überlieferte mein Wissen den Machthabern, es zu gebrauchen, es nicht zu gebrauchen, es zu missbrauchen, ganz wie es ihren Zwecken diente.“
Dass es auch eine andere Haltung gab, dafür steht der Vater der Ballistik Niccolò Fontana Tartaglia (1499 - 1557), der ein Jahrhundert vor Galilei lebte; jedenfalls erzählt man sich von ihm, dass er seine Untersuchungen über die Bahnen von Kanonenkugeln geheim halten wollte.

Galilei, der wissenschaftlich in neue Welten vorstieß und die alte Welt erschütterte, der aber sozial die alten Mächte bestätigte – so sah ihn Bertolt Brecht.

Im Deutschland der 20er und 30er Jahre hatte es in der Physik eine ähnliche Aufbruch-Stimmung gegeben wie zur Zeit Galileis; sie führte zur Entdeckung der Kernspaltung.

Und begeistert von diesem Aufbruch in eine neue Zeit,
schrieb Brecht im dänischen Exil sein Stück über Galilei, über die Zeit,
in der er seine eigene spiegeln konnte.
1939, als er sein Schauspiel schon beendet hatte, erfuhr er durch den dänischen Physiker Niels Bohr von der Entdeckung der Kernspaltung durch Otto Hahn,
und er fügte den Schlussworten Galileis noch folgenden Satz hinzu:
„Während an einigen Orten die größten Entdeckungen gemacht werden, welche die Glücksgüter der Menschen unermesslich vermehren müssen, liegen sehr große Teile dieser Welt ganz im Dunkel.“

Und Brecht stellt fest, dass es schwer sei - ich zitiere aus dem Vorwort zum Galilei aus dem Jahr 1939 - dass es schwer sei, „eine Haltung einzunehmen, die sich für Leute an der Schwelle einer neuen und glücklichen Zeit schicken mag ... inmitten der schnell wachsenden Finsternis ..., umgeben von blutigen Taten und nicht weniger blutigen Gedanken, der zunehmenden Barbarei, die unhemmbar in den vielleicht größten und furchtbarsten Krieg aller Zeiten zu führen scheint.“
Es ist eine Art Zweckoptimismus, der den Autor trotzdem noch begeisterte Worte über eine neue bessere Welt finden ließ.
Wenige Monate später, am 1. September 1939, als der zweite Weltkrieg begann, beginnt Brecht mit seinem Anti-Kriegs-Stück ‚Mutter Courage’ – hier ist von Aufbruchstimmung nichts mehr zu spüren.

Die Aufbruchstimmung des ‚Mit uns zieht die neue Zeit’ ist eines der zentralen Themen in Brechts ‚Leben des Galilei’. Auch der historische Galilei hat so empfunden, dass mit seinen Entdeckungen eine neue, eine bessere Zeit anbrechen würde – eine Pioniersituation, die die Menschen begeisterte.

Die Pioniersituation beginnt mit dem In-Frage-Stellen all dessen, was bislang gegolten hat. Keine Autorität, keine wissenschaftliche und keine geistliche, wird davon verschont. Eine solche Haltung konnte Galilei schon von seinem Vater erfahren; in dessen 1581 erschienenen Schrift ‚Dialog über die alte und neue Musik’ konnte er lesen: „Nach meiner Ansicht müssen diejenigen, welche, um eine Behauptung zu beweisen, ausschließlich auf das Gewicht der Autoritäten zählen, ohne sich irgendeines anderen Argumentes zu bedienen, des Unverstandes geziehen werden. Ich für meinen Teil wünsche, dass Streitfragen frei gestellt und frei erörtert werden, wie sich dies für jeden geziemt, der aufrichtig nach der Wahrheit forscht.“

Alles wird überprüft, alles bezweifelt. Zweifel als ein prinzipielles In-Frage-Stellen jeder unbewiesenen Behauptung (93). Eine solche Methode des Zweifelns aber ist eine Gefahr für jeden, der im Interesse des Machterhalts das Denken der Menschen vernebeln möchte.

Hören Sie über die Wissenschaft und ihre gesellschaftlichen Folgen Galilei selbst, den Galilei Brechts:
„Wissen verschaffend über alles für alle, trachtet sie, Zweifler zu machen aus allen.“ (124) und: Die „Peiniger des Volks fühlten ... das kalte Auge der Wissenschaft auf ein tausendjähriges, aber künstliches Elend gerichtet, das deutlich beseitigt werden konnte,
indem sie beseitigt wurden.“ (125)

Der Zweifelnde hat nichts, worauf er sich berufen könnte, außer der Vernunft. Vernunft ist nach den Worten von Brechts Galilei das im Menschen, was nur urteilt, wenn etwas zureichend begründet und bewiesen ist, und zwar durch Fakten bewiesen. Die Fakten sind die neue Autorität.

Und Brechts Galilei ist überzeugt, dass diese seine Denkungsart sich durchsetzen werde: „Ich glaube an die sanfte Gewalt der Vernunft über die Menschen“ (34), sagt er; und weiter: „Die Verführung, die von einem Beweis ausgeht, ist zu groß.“
Aber die Menschen müssen auch dafür eintreten, dass die sanfte Gewalt der Vernunft wirken kann - Zitat: „Es setzt sich nur soviel Wahrheit durch, als wir durchsetzen. Der Sieg der Vernunft kann nur der Sieg der Vernünftigen sein.“
Die Gegenposition nimmt Galileis Freund, der Skeptiker Sagredo, ein. Den begeisterten Sätzen Galileis: „Die Verführung, die von einem Beweis ausgeht, ist zu groß: Ihr erliegen die meisten, auf Dauer alle. Das Denken gehört zu den größten Vergnügungen der menschlichen Rasse.“, diesen Sätzen hält Sagredo entgegen, dies sei „eine Stunde der Verblendung, wo der Mensch an die Vernunft des Menschengeschlechts glaubt.“ (38) Und er argumentiert weiter: Die Wahrheit, mit der die Naturwissenschaft sich befasst, ei die Wahrheit der Fakten; diese Fakten blieben, was sie sind, auch wenn der Mensch sich nicht ihrer annimmt. Warum also sollte sich jemand unter Gefahr seines Lebens für eine solche objektive, immer beweisbare Wahrheit einsetzen?
Dem Galileo bei Brecht geht es aber nicht vorrangig um die Tatsachen, etwa um die Wahrheit, dass sich Monde um den Jupiter drehen, sondern darum, dass die Vernunft, die Vernünftigkeit siegt, dass die Menschen endlich vernünftig „denken lernen“ (79).

Dieser erzieherische Impuls war auch ein Teil des historischen Galilei; darum hat er wesentliche Schriften in der Volkssprache, dem Italienischen, und nicht in der Sprache der Gelehrten, dem Latein, verfasst, z. B. die 1632 veröffentlichten ‚Dialoge über die beiden wichtigsten Weltsysteme’, ein Bestseller und das erste populärwissenschaftliche Buch, das geschrieben wurde.

Brecht geht bei Gestaltung seines Galilei einen Schritt weiter: Die Beherrschung der Natur, zu der die neue Wissenschaft führt, soll „zu einer Quelle des Glücks“ werden. Wissenschaft ist für Brecht nur produktiv, wenn sie mit sozialem Engagement verbunden ist - weniger sachlich könnte man mit Paulus sprechen: Und wenn ich alle Geheimnisse und alle Erkenntnis wüsste ... und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts.“

Brecht meinte, dass die Kernspaltung, von der er 1939 hörte, einen entscheidenden Beitrag zur Erleichterung des menschlichen Lebens leisten könnte – dass auch die friedliche Nutzung der Atomkraft problematisch werden könnte, hat er nicht geahnt.
Geahnt hat Brecht schon früh und später dann auch miterlebt, dass die Kernphysik zu einer Quelle des Unglücks werden kann, wenn sie nicht verbunden wird mit der Bereitschaft, verantwortlich mit dem erforschten Wissen umzugehen.
Und Brecht stellt fest – ich zitiere, „dass die großen Erfindungen und Entdeckungen nur eine immer schrecklichere Bedrohung der Menschheit geworden sind, so dass heute beinahe jede neue Erfindung nur mit einem Triumphschrei empfangen wird, der in einen Angstschrei übergeht“.

Wir erfahren von Galileis Eintreten für die Belange der von Adel und Kirche unterdrückten Menschen in der 8. Szene des Stücks durch eine Auseinandersetzung zwischen Galilei und einem Mönch, den Brecht den ‚Kleinen Mönch’ nennt, vielleicht weil er Schüler Galileis wird oder weil er in der Hierarchie der Kirche ganz unten steht.

Anlass der Auseinandersetzung ist die Verordnung der Kirche von 1616, st das ‚Dekret’ genannt. Durch diese Verordnung war Galilei verboten worden, seine These, dass die Erde sich um die Sonne dreht, als die wahre zu behaupten, also als Wahrheit zu behaupten, dass die Erde nicht Mittelpunkt des Weltalls, speziell des Planetensystems ist, um den sich alles dreht, dass im Mittelpunkt des Planetensystems vielmehr die Sonne stehe.

Der in Ostpreußen wirkende Domherr, Arzt, Mathematiker und Astronom Nikolaus Kopernikus hatte 100 Jahre zuvor rein theoretisch diese These entwickelt, deshalb sprechen wir heute noch vom kopernikanischen Weltsystem. Das andere System, nach dem die Erde unbewegt im Mittelpunkt steht, ist von Aristoteles und im zweiten Jahrhundert nach Christus ausführlicher von Ptolemäus dargestellt worden, darum wird es das ptolemäische System genannt.

Kopernikus hatte seine 1543 veröffentlichte Schrift ‚Von den Bewegungen der Himmelskörper’ dem Papst gewidmet, und der hatte die Widmung angenommen, weil sich mit dieser Theorie manches besser erklären ließ, z. B. bei der Kalenderreform von Papst Gregor.
Galileo hatte mit Hilfe seines Fernrohrs Beweise gefunden für diese These. Trotzdem bestand die Kirche in der Verordnung von 1616 darauf, dass sie nur als Arbeitshypothese weiter vertreten werden dürfe.
Die Kirche befand sich in einem Konflikt: In der siebten Szene unseres Theaterstücks erklärt der Kardinal Bellarmin seinem Kollegen Barberini, dem späteren Papst Urban, dieses Dilemma: „Wenn Sternkarten, die sich auf eine neue Hypothese stützen, unseren Seeleuten die Navigation erleichtern, mögen sie die Karten benutzen. Uns missfallen nur Lehren, welche die Schrift falsch machen.“ – gemeint ist die Hl. Schrift, die gleichsam von Gott selbst geschriebene Bibel.

Das ansonsten nützliche neue Weltbild warf riesige theologische Fragen auf, weil die Erde nun nicht mehr der einzigartige Mittelpunkt der Schöpfung war, von Kristallschalen umgeben, an die die Gestirne, auch die Sonne befestigt waren.

Hauptproblem aber war, dass der Bibel das alte, das ptolemäische Weltbild zugrunde liegt. Es sind vor allem zwei Stellen aus dem Alten Testament, die auf dieses Weltbild hinweisen: „Die Sonne geht auf, und geht unter, und sie läuft an ihren Ort, dass sie dort wieder aufgehe“, heißt es im Prediger Salomo (1,5). Die zweite, berühmtere Stelle steht im Buch Josua (10,13): Josua, Diener und Nachfolger des Moses, kämpfte zur Eroberung des gelobten Lands bei der Stadt Gibeon gegen die Amoriter. Der Herr half dem Volk Israel, indem er der Sonne und dem Mond befahl, stillzustehen. „Da stand die Sonne still, und der Mond blieb stehen, bis das Volk sich an seinen Feinden gerächt hatte“, und zwar nahezu einen Tag lang. Und wenn Gott die Sonne für einen Tag stille stehen lässt, muss sie grundsätzlich in Bewegung sein, um die Erde herum – wie man ja sehen kann. Und weil Galilei diese Vorstellungen erschüttert, gilt er als „Bibelzertrümmerer“ und bei seinen Feinden als Ketzer. Der unserem Wissenschaftler grundsätzlich wohlgesinnte Kardinal Bellarmin wirft in Brechts Stück Galilei vor: „Er will in aller Unschuld Gott die dicksten Schnitzer in der Astronomie nachweisen!“

So kann es nicht wundern, dass die Kirche Galilei verbietet, die kopernikanische Lehre als die wahre zu behaupten. Und der Kleine Mönch verteidigt das Verbot der Kirche, obwohl er, der auch Mathematik studiert hat, weiß, dass das, was Galilei über das neue Weltsystem sagt, die Wahrheit ist. Aber er glaubt, dass durch die Zerstörung der alten Ordnung den Menschen eher geschadet als geholfen wird. Seine Argumentation:
Die Masse des Volks lebt in bedrängtesten Verhältnissen, und der einzige Trost dieser Armen ist das Bewusstsein, „dass das Auge der Gottheit auf ihnen liegt“. (76). Ihr Leid erhält einen Sinn, wenn es, wie in der Bibel geschrieben steht, verstanden wird als Möglichkeit zur Bewährung. Ich zitiere: „Wozu ist die Schrift noch gut, die alles erklärt und als notwendig begründet hat, den Schweiß, die Geduld, den Hunger, die Unterwerfung, und die jetzt voll von Irrtümern befunden wird?“ (76) Ohne das Vertrauen in die Bibel fänden die Leidenden keinen Sinn mehr in ihrem Elend.

Ähnlich wie der Mönch argumentiert der Kardinal Bellarmin angesichts des Elends in der Welt: „Wir haben die Verantwortung für den Sinn solcher Vorgänge ..., die wir nicht begreifen können, einem höheren Wesen zugeschoben, davon gesprochen, ... dass dies alles einem großen Plan zufolge geschieht. Nicht als ob dadurch absolute Beruhigung eingetreten wäre, aber jetzt beschuldigen Sie – so sagt er zu Galilei - dieses höchste Wesen, es sei sich im unklaren darüber, wie die Welt der Gestirne sich bewegt, worüber Sie sich im klaren sind.“ (68)

Auch Galilei – immer noch der aus Brechts Stück - will den Menschen helfen. Die Tugenden, die der kleine Mönch preist, die „göttliche Geduld“ der Unterdrückten, der Wille zur Unterwerfung, lehnt Galilei als die „Tugenden Erschöpfter“ ab. Ihm wäre lieber, die Menschen hätten solche Tugenden nicht nötig, weil ihre soziale Lage verbessert wäre. Und er will auf seine Weise beitragen, die Armen zu Wohlhabenden zu machen; er will die Menschen in der Vernunft und im Zweifeln unterweisen, so dass sie gegen die alte Ordnung aufstehen, in der sie der Glaube gehalten hat, und er will den Armen Maschinen baut, die ihre Lebensbedingungen verbessern, z. B. Wasserpumpen für Bewässerungsanlagen.
Den Überlegungen des Kleinen Mönchs, dass es besser sei, die gegenwärtigen Zustände zu erhalten, damit den Armen der Seelenfriede bewahrt bleibe, stellt Galilei seine Ethik entgegen, die auf Veränderung der bisherigen Herrschaftsverhältnisse und Verbesserung der Lebensbedingungen durch die Wissenschaft zielt. Gleich zu Beginn des Stücks sagt Galilei zu seinem Schüler Andrea Sarti: „da es so ist, bleibt es nicht so. Denn alles bewegt sich, mein Freund.“

Aber Galilei erreicht durch die Erfindung seiner Maschinen das Gegenteil von dem, was er erreichen möchte: Nicht wird das Herr-Knecht-Verhältnis abgeschafft, indem die Maschine den Knecht ersetzt und indem jeder, der früher Knecht war, nun seine eigenen Maschinen hat, sondern die Maschinen werden, weil ihr Erfinder sie auf dem freien Markt verkauft, Eigentum nur der reichen Klasse, die mit Hilfe dieser Maschinen ihren Reichtum vermehrt (30f.), die Armen noch mehr von sich abhängig macht und Kriege führt (24), um ihre Macht zu festigen und weiter zu vergrößern.

Hier trifft Brecht ein Stück historischer Wahrheit, da die Technik die Entwicklung des kapitalistischen Systems erheblich förderte. Wenn Brecht aber in Galilei Anlagen zum sozialen Revolutionär sehen will, so führt dies wieder vom Bild des historischen Galilei fort: Brecht projiziert seine eigenen Vorstellungen in Galilei hinein.

Auch wenn der historische Galilei kein sozialer Revolutionär war, so barg seine Lehre doch genügend Zündstoff. Die Kirche war verunsichert durch Galileis Forschungen, sie sah ihre Macht bedroht; aber auch Galilei war verunsichert. 1610, in dem Jahr, als Galilei seine astronomischen Entdeckungen veröffentlicht hatte, war ein Vertreter des Kopernikanischen Systems in Rom verbrannt worden, Giordano Bruno, und Galilei war kein Held und schwieg.

Als 1623 der Kardinal Barberini, der selbst Mathematiker war und den Galilei für seinen Freund hielt, als Urban VIII. Papst wurde, begann Galilei das Werk, das ihm zum Verderben wurde, das über die beiden Weltsysteme, erschienen 1632. Er hatte geglaubt, besonders listig zu sein: In seinem Buch treten drei Dialogpartner auf; zwei von ihnen tragen - hypothetisch natürlich – das kopernikanischen System vor, der dritte das der Kirche genehme ptolemäische. Aber dieser Dritte ist der Einfältigere der drei Dialogpartner; und Papst Urban war nicht so einfältig, dies nicht zu bemerken. Und als man ihm noch einredete, mit jenem simplen Menschen habe Galilei ihn, den Papst, gemeint und verspottet, war er, der sich immer für den Ersten und Klügsten hielt, empört und wollte sich rächen.

Galilei hatte seine Gegner nicht ernst genug genommen. So lässt er seinen Einfältigen sagen – sinngemäß: Das kopernikanische System mag ja wissenschaftlich richtig sein, aber man kann Gott ja nicht zwingen, das naturwissenschaftlich Richtige auch zu tun, und also kann es auch so sein, wie es in der Bibel steht.
Dies war tatsächlich die Argumentation des Papstes gewesen und auch die Luthers, der, weil die Bibel für ihn eine noch zentralere Bedeutung hatte als für die katholische Kirche, in der Verurteilung des Kopernikanischen Systems noch rigoroser war. Gegenüber seinen Studenten hat Luther einmal über Kopernikus geäußert: „Der Narr will mir die ganze (Kunst) Astronomie umkehren! Aber wie die Heilige Schrift zeigt, hieß Josua die Sonne still stehen und nicht die Erde!“. Das war Beweis genug!

Galilei hatte der Kirche tatsächlich viel zugemutet, als er die Lehre des Kopernikus durchzusetzen versuchte, vor allem, als er vorschlug, das war schon 1613, dass die Stellen der Bibel, die einer gesicherten naturwissenschaftlichen Erkenntnis widersprächen, neu interpretiert werden müssten. Das wortwörtliche Verständnis der Bibel sei überholt.
Viel zugemutet, sage ich, wenn man bedenkt, dass es nach bald 400 Jahren immer noch fanatische Vertreter einer wörtlichen Bibelauslegung gibt, und nicht nur in den USA, sondern auch hier in Deutschland. Denken Sie an die Kontroverse ‚Schöpfungsgeschichte gegen Evolutionslehre’.

So kam es zum Prozess, der nichts als ein Scheinprozess war, 1633, genau in der Mitte des Dreißigjährigen Kriegs und mit diesem im Zusammenhang stehend, weil die Kirche auch durch diesen Krieg den Verlust ihrer Macht fürchtete. Galilei war 69 Jahre alt; von Krankheit geschwächt und von Schmerzen geplagt, musste der Wissenschaftler vor dem Inquisitionstribunal der Lehre des Kopernikus, dass sich die Erde um die Sonne bewege, abschwören. Die Medici konnten oder wollten ihm nicht mehr helfen. Aus den größten Mäzenen von Kunst und Wissenschaft waren frömmelnde, von Rom abhängige Herrscher geworden.

In diesem spektakulären Prozess stützte sich die Anklage auf ein Dokument aus dem Jahr 1616. Galilei besaß noch den Text jener Verordnung, die ihm damals, also vor 17 Jahren, Kardinal Bellarmin vorgelegt hatte. In dieser Verordnung - Sie erinnern sich - hatte man ihm zwar verboten, die Lehre des Kopernikus als die Wahrheit zu verbreiten, aber man hatte ihm auch erlaubt, mit des Kopernikus Lehre als Hypothese zu arbeiten. Und Galilei erwartete, dass man sein Buch über die zwei Weltsysteme entsprechend interpretierte, was von denen, die ihm die Druckerlaubnis geben mussten, auch geschah.

Nun aber wurde dem Angeklagten ein Dokument vorgelegt, in dem stand, dass es ihm ausdrücklich verboten worden sei, die Lehre des Kopernikus zu vertreten; auch nicht als Hypothese habe er mit ihr arbeiten dürfen. Man vermutet, dass dieses Dokument gefälscht ist. Der Kardinal Bellarmin, der hätte Klarheit schaffen können, war mittlerweile gestorben. Hören Sie dazu einen Galilei-Biographen:

Filmausschnitt vom Prozess

So sieht es also aus, wenn man in die Fänge der Macht gerät im Widerstand gegen ein totalitäres System, gegen dessen Dummheit und Barbarei man ankämpft. Brecht konnte sich bei seiner Bedrohung durch den Nationalsozialismus in Galileis Bedrohung durch die Inquisition der Kirche wiedererkennen; Galileis Kampf gegen Dummheit und Barbarei war auch sein Kampf.

Und Galileis Konflikt, in den er bei diesem Kampf geriet, war auch Brecht nicht unbekannt.
Beide mussten sich in bestimmten Lebenssituationen die Frage stellen:
Wie weit darf ein Mensch gehen, um sich den Fängen einer totalitären Macht zu entziehen;
wie weit darf der Mensch sein Rückgrat verbiegen, um es sich nicht zerschlagen zu lassen;
wo ist die Grenze zwischen Feigheit und List;
wann wird List zum Verrat an der eigenen Überzeugung, wann ist Heldentum gefordert?

Die wichtigste Szene in Brechts Stück zeigt den alten Galilei als Gefangenen der Inquisition in jenem Haus, das Sie eben gesehen haben.

In der ersten in Dänemark geschriebenen Fassung wird in dieser Szene ein Galilei gezeigt, der „in großer Heimlichkeit die Discorsi geschrieben hatte“, das sind die ‚Unterredungen und mathematischen Demonstrationen über zwei neue Wissenszweige, die Mechanik und die Fallgesetze betreffend’ – so der gesamte Titel von Galileis epochemachendem Hauptwerk, das die neue Physik begründete. Brecht erläutert diese Szene selbst wie folgt:
„Galilei veranlasst ... seinen Lieblingsschüler Andrea, das Buch über die Grenze ins Ausland zu schmuggeln. Sein Widerruf hatte ihm die Möglichkeit verschafft, ein entscheidendes Werk zu schaffen. Er war weise gewesen.“ Soweit Brecht. Galileis Widerruf erscheint also im Sinne dieses Zitats als die List, am Leben zu bleiben, um weiter forschen zu können und so die Wahrheit unter vielen zu verbreiten. Das war 1939 gewesen.

Aber seit 1945, seit dem Abwurf der ersten Atombomben, galt diese Weisheit nicht mehr. „Von heute auf Morgen las sich die Biographie des Begründers der modernen Physik anders.“ schreibt Brecht. Er sah ein, dass es Situationen geben könnte, in denen der Widerstand wichtiger war als das Überleben.

Und er ändert sein Theaterstück unter dem Eindruck von Hiroshima und Nagasaki. So streicht er z. B. die Geschichte von Herrn Egge, der auf die Frage des Vertreters der Macht ‚Wirst du mir dienen?’ ihm sieben Jahre gedient und erst ‚nein’ gesagt hatte, als der Vertreter der Macht gestorben war.
Und er betont nun stärker negative Züge im Bild Galileis.
Die deutsche Erstaufführung dieser Fassung war übrigens am 16. April 1955 in Köln, als Brecht – schon schwer erkrankt - selbst noch an einer Inszenierung mit dem Berliner Ensemble arbeitete.
Brecht hat in diese Fassung noch viel von dem positiven Bild aus der Fassung von 1938 hinübergerettet; die Folge ist, dass Galileis Charakter uneinheitlich, widersprüchlich wirkt. Und grundsätzlich ist Widersprüchlichkeit für Brecht auch nichts Negatives, denn die Dialektik der Widersprüche ist Voraussetzung für lebendige Entwicklung und notwendige immerwährende Veränderung.

Aber insgesamt wirkt das Bild Galileis düsterer; in einer beeindruckenden Selbstanklage bezeichnet sich Galilei sogar als sozialen Verbrecher.

Galilei fragt sich, welchen Einfluss es auf die Geschichte der Wissenschaft und damit auf die Geschichte der Menschheit gehabt hätte, wenn er vor der Inquisition nicht widerrufen hätte, sondern für die Wahrheit eingestanden wäre. Der Widerruf bedeutet: Ich stelle mich und mein Wissen denen, die die Macht haben, zur Verfügung; sollen sie mit dem Wissen machen, was sie wollen – eine Haltung, die schließlich zu Oppenheimers Atombombe und Tellers Wasserstoffbombe führt. Brecht schreibt über den historischen Galilei: „Die Atombombe ist sowohl als technisches als auch soziales Phänomen das klassische Endprodukt seiner wissenschaftlichen Leistung und seines sozialen Versagens.“

Zur Frage Brechts, was gewesen wäre, wenn Galilei widerstanden, wenn er nicht widerrufen hätte: Er hätte gezeigt, dass er nicht andere über sich verfügen lässt, sondern dass er selbst über sich und über sein Wissen verfügt und so die Verantwortung dafür übernehmen kann, was aus diesem Wissen gemacht wird.
Wie Giordano Bruno wäre Galilei möglicherweise als Ketzer verbrannt worden, aber er wäre dann zum Märtyrer geworden, zum großen Vorbild für die nachfolgenden Generationen von Wissenschaftlern, die, seinem Beispiel folgend, lernen könnten, mit den Ergebnissen ihrer Wissenschaft verantwortlich umzugehen.

Zitat aus Brechts ‚Galilei’: „Hätte ich widerstanden, hätten die Naturwissenschaftler etwas wie den hippokratischen Eid der Ärzte entwickeln können, das Gelöbnis, ihr Wissen einzig zum Wohle der Menschheit anzuwenden! Wie es nun steht - so fährt Galilei fort - , ist das Höchste, was man erhoffen kann, ein Geschlecht erfinderischer Zwerge, die für alles gemietet werden können.“

Und ein weiterer, sozusagen der sozial-revolutionäre Aspekt: „Wer die Wahrheit nicht weiß“, sagt Galilei, „der ist bloß ein Dummkopf. Aber wer sie weiß und sie eine Lüge nennt, der ist ein Verbrecher.“ (110)
Denn wer die Wahrheit - so hat Galilei immer wieder gelehrt - eine Lüge nennt,
der verwirrt die Köpfe der Leute, der nimmt ihnen die Möglichkeit,
richtig zu denken und somit überlieferte Machtansprüche auf ihre Verlogenheit hin zu durchschauen.
Wer die Wahrheit eine Lüge nennt, ist somit ein sozialer Verbrecher, weil er dazu beiträgt,
die bestehenden Verhältnisse, in denen das Volk beherrscht, ausgebeutet, gepeinigt wird,
zu verfestigen.

Aber sehen und hören sie selbst einen kurzen Ausschnitt aus dieser Szene:
Andrea Sarti, der einstige Schüler Galileis, immer noch verbittert,
dass Galilei vor der Inquisition nicht wie ein Held widerstanden hat, besucht Galilei auf der Durchreise nach Holland.
Als er hört, dass Galilei die Discorsi geschrieben hat und er eine Abschrift heimlich über die Grenze nach Holland bringen soll, schlägt seine Verbitterung in Begeisterung um. Andrea erinnert noch einmal an die Situation kurz nach dem Widerruf, als Galilei sagte: „Ich habe widerrufen, aber ich werde leben. – Ihre Hände sind befleckt, sagten wir. Sie sagen: Besser befleckt als leer.“ Andrea meint, das sei nun die neue Ethik des Wissenschaftlers: Besser befleckt als leer. „Die Wissenschaft kennt nur ein Gebot: den wissenschaftlichen Beitrag“.
Zu sehen sind in unserer Szene noch Galileis kirchentreue Tochter Virginia, die ihren Vater pflegt und bewacht, und ein Aufpasser der Inquisition.

Filmausschnitt Aufführung England 1974 (V 33 ab 3:21) von „In meinen freien Stunden’ bis „beantwortet werden könnte“

Am Ende unseres Stücks steht eine Mahnung Brechts, wieder im Ton des Bänkelsangs:
„Hütet nun ihr der Wissenschaften Licht
Nutzt es und missbraucht es nicht
Dass es nicht, ein Feuerfall
Einst verzehre noch uns all.“



'Leben des Galilei' Unterrichtsreihe

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