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Klausur LK 13.1
4 Unterrichtsstunden
02.12.97

Bertolt Brecht ‘Leben des Galilei’ 8. Szene

EIN GESPRÄCH.

Galilei las den Spruch
Ein junger Mönch kam zu Besuch
War eines armen Bauern Kind
Wollt wissen, wie man Wissen find't.
Wollt es wissen, wollt es wissen.

Im Palast des Florentinischen Gesandten in Rom hört Galilei den kleinen Mönch an, der ihm nach der Sitzung des Collegium Romanum den Ausspruch des päpstlichen Astronomen zugeflüstert hat.

GALILEI
Reden Sie, reden Sie! Das Gewand, das Sie tragen, gibt Ihnen das Recht zu sagen, was immer Sie wollen.
5 DER KLEINE MÖNCH
Ich habe Mathematik studiert, Herr Galilei.
GALILEI
Das könnte helfen, wenn es Sie veranlasste einzugestehen, dass zwei mal zwei hin und wieder vier ist!
DER KLEINE MÖNCH
10 Herr Galilei, seit drei Nächten kann ich keinen Schlaf mehr finden. Ich wusste nicht, wie ich das Dekret, das ich gelesen habe, und die Trabanten des Jupiter, die ich gesehen habe, in Einklang bringen sollte. Ich beschloss, heute früh die Messe zu lesen und zu Ihnen zu gehen.
GALILEI
Um mir mitzuteilen, dass der Jupiter keine Trabanten hat?
15 DER KLEINE MÖNCH
Nein. Mir ist es gelungen, in die Weisheit des Dekrets einzudringen. Es hat mir die Gefahren aufgedeckt, die ein allzu hemmungsloses Forschen für die Menschheit in sich birgt, und ich habe beschlossen, der Astronomie zu entsagen. Jedoch ist mir noch daran gelegen, Ihnen die Beweggründe zu unterbreiten, die auch einen Astronomen dazu bringen können, von einem weiteren Ausbau der gewissen Lehre abzusehen.
20 GALILEI Ich darf sagen, dass mir solche Beweggründe bekannt sind.
DER KLEINE MÖNCH
Ich verstehe Ihre Bitterkeit. Sie denken an die gewissen außerordentlichen Machtmittel der Kirche.
GALILEI Sagen Sie ruhig Folterinstrumente.
DER KLEINE MÖNCH
25 Aber ich möchte andere Gründe nennen. Erlauben Sie, dass ich von mir rede. Ich bin als Sohn von Bauern in der Campagna aufgewachsen. Es sind einfache Leute. Sie wissen alles über den Ölbaum, aber sonst recht wenig. [...] Es geht ihnen nicht gut, aber selbst in ihrem Unglück liegt eine gewisse Ordnung verborgen. [...] Es ist ihnen versichert worden, dass das Auge der Gottheit auf ihnen liegt, forschend, ja beinahe angstvoll; dass das ganze Welttheater um sie aufgebaut ist, damit sie, die Agierenden, in ihren großen oder kleinen
30 Rollen sich bewähren können. Was würden meine Leute sagen, wenn sie von mir erführen, dass sie sich auf einem kleinen Steinklumpen befinden, der sich unaufhörlich drehend im leeren Raum um ein anderes Gestirn bewegt, einer unter sehr vielen, ein ziemlich unbedeutender! Wozu ist jetzt noch solche Geduld, solches Einverständnis in ihr Elend nötig oder gut? Wozu ist die Heilige Schrift noch gut, die alles erklärt und als notwendig begründet hat, den Schweiß, die Geduld, den Hunger, die Unterwerfung, und die jetzt voll von Irrtümern
35 befunden wird? Nein, ich sehe ihre Blicke scheu werden, ich sehe sie die Löffel auf die Herdplatte senken, ich sehe, wie sie sich verraten und betrogen fühlen. Es liegt also kein Auge auf uns, sagen sie. Wir müssen nach uns selber sehen, ungelehrt, alt und verbraucht, wie wir sind? Niemand hat uns eine Rolle zugedacht außer dieser irdischen, jämmerlichen auf einem winzigen Gestirn, das ganz unselbständig ist, um das sich nichts dreht? Kein Sinn liegt in unserm Elend, Hunger ist eben Nichtgegessenhaben, keine Kraftprobe; Anstrengung ist eben 40 Sichbücken und Schleppen, kein Verdienst. Verstehen Sie da, dass ich aus dem Dekret der Heiligen Kongregation ein edles mütterliches Mitleid, eine große Seelengüte herauslese?
GALILEI
Seelengüte! Wahrscheinlich meinen Sie nur, es ist nichts da, der Wein ist weggetrunken, ihre Lippen vertrocknen, mögen sie die Soutane küssen! Warum ist denn nichts da? Warum ist die Ordnung in diesem Land nur die 45 Ordnung einer leeren Lade und die Notwendigkeit nur die, sich zu Tode zu arbeiten? Zwischen strotzenden Weinbergen, am Rand der Weizenfelder! Ihre Campagnabauern bezahlen die Kriege, die der Stellvertreter des milden Jesus in Spanien und Deutschland führt. Warum stellt er die Erde in den Mittelpunkt des Universums? Damit der Stuhl Petri im Mittelpunkt der Erde stehen kann! Um das letztere handelt es sich. Sie haben recht, es handelt sich nicht um die Planeten, sondern um die Campagnabauern. [...] Tugenden sind nicht an Elend
50 geknüpft, mein Lieber. Wären Ihre Leute wohlhabend und glücklich, könnten sie die Tugenden der Wohlhabenheit und des Glücks entwickeln. Jetzt stammen diese Tugenden Erschöpfter von erschöpften Äckern, und ich lehne sie ab. Herr, meine neuen Wasserpumpen können da mehr Wunder tun als ihre lächerliche übermenschliche Plackerei. [...] Wir können nicht Maschinerien für das Hochpumpen von Flusswasser erfinden, wenn wir die größte Maschinerie, die uns vor Augen liegt, die der Himmelskörper, nicht studieren sollen. Die Winkelsumme im Dreieck kann nicht nach
55 den Bedürfnissen der Kurie abgeändert werden. Die Bahnen fliegender Körper kann ich nicht so berechnen, dass auch die Ritte der Hexen auf Besenstielen erklärt werden.
DER KLEINE MÖNCH
Und Sie meinen nicht, dass die Wahrheit, wenn es Wahrheit ist, sich durchsetzt, auch ohne uns?
GALILEI
60 Nein, nein, nein. Es setzt sich nur so viel Wahrheit durch als wir durchsetzen; der Sieg der Vernunft kann nur der Sieg der Vernünftigen sein. Eure Campagnabauern schildert ihr ja schon wie das Moos auf ihren Hütten! Wie kann jemand annehmen, dass die Winkelsumme im Dreieck ihren Bedürfnissen widersprechen könnte! Aber wenn sie nicht in Bewegung kommen und denken lernen, werden ihnen auch die schönsten Bewässerungsanlagen nichts nützen. Zum Teufel, ich sehe die göttliche Geduld ihrer Leute, aber wo ist ihr göttlicher
65 Zorn?

Aufgabenstellung und Lösungsskizze

1. Ordnen Sie kurz die 8. Szene in den Handlungsverlauf des Stücks ein! Wählen Sie nur das aus, was zum Verständnis der 8. Szene unbedingt notwendig ist!
Als Galilei mit Hilfe des Fernrohrs das heliozentrische Weltbild beweisen kann, geht er an die Öffentlichkeit, aber die Kirche verbietet das heliozentrische Weltsystem zu propagieren, lediglich als Hypothese dürfe es genutzt werden

2. Arbeiten Sie die unterschiedlichen Standpunkte des Mönchs und Galileis heraus!
Der kleine Mönch
,
eines armen Bauern Kind
Ihm ist gelungen, in die Weisheit des Dekrets einzudringen ...Gefahren ...die ein allzu hemmungsloses Forschen für die Menschheit in sich birgt, will der Astronomie entsagen
will Beweggründe nennen
Der kleine Mönch über seine Eltern: selbst in ihrem Unglück liegt eine gewisse Ordnung verborgen. ... Schöpfen ihre Kraft ... aus dem Gefühl der Stetigkeit und Notwendigkeit ... Es ist ihnen versichert worden, dass das Auge der Gottheit auf ihnen liegt; können sich bewähren
Wenn Erde nicht mehr Mittelpunkt: Wozu ist ... noch solche Geduld, solches Einverständnis in ihr Elend nötig oder gut?
Heilige Schrift voll Irrtümer, Wozu ist sie noch gut, die alles erklärt und notwendig begründet hat
Es liegt kein Auge auf uns ... Wir müssen nach uns selber sehen ... Kein Sinn liegt in unserem Elend
Sieht im Dekret ein edles mütterliches Mitleid

Galilei
:
Armut durch Kriege des Papstes; Erde Mittelpunkt, damit Stuhl Petri Mittelpunkt
gibt dem Kleinen Mönch recht, es handelt sich nicht um die Planeten, sondern um die Campagnabauern.
hat etwas gegen Tugenden, die aus dem Elend erwachsen
erinnert daran, dass die Wasserpumpen Hilfe bringen könnten
Galilei weist auf die Bestechungsversuche der Reichen, als Belohnung dafür, dass ich zum Beispiel Ihren guten Eltern den Seelenfrieden lasse
anderer Aspekt: Ästhetik der Wahrheit mein Schönheitssinn wird verletzt, wenn die Venus in meinem Weltbild ohne Phasen ist! Ästhetik und soziales Engagement verbinden sich hier:
Die größte Maschinerie des Weltsystems ist Vorbild für die kleinen Maschinen, die den Menschen helfen - ein und dieselbe Wahrheit
Wahrheit muss man durchsetzen, sie setzt sich nicht von selbst durch;

3. Zeigen Sie auf, was beiden gemeinsam ist!
Intersees am Wohlergehen des einfachen Volkes
Als Galilei dem Mönch Untersuchungen über Ebbe und Flut gibt: Ein Apfel vom Baum der Erkenntnis - Fresser; Gierig nach Wissen, und dass man es weitersagen muss, ein Laster
das gilt ebenso für Galilei wie für den Kleinen Mönch

4. Der Brecht-Schüler B. K. Tragelehn, der zur Zeit in Berlin den ‘Galilei’ inszeniert (vgl. Spiegel Kultur extra Dez. 97) behauptet, dass Brecht mit dem ‘Galilei’ nie fertig geworden ist, da es nicht ausgeschrieben, nicht auf den Punkt gebracht, nicht zu Ende poliert worden ist. Wir haben im Unterricht dazu gesagt, dass sich die Widersprüche im Stück auch dadurch erklären lassen, dass Menschen auch in der Wirklichkeit in sich widersprüchlich sein können.
Welchen Widerspruch in der Gestalt Galileis können Sie in dieser Szene erkennen?
(Sollten Sie keinen Widerspruch erkennen, lassen Sie diese Aufgabe aus.)

1. forscht aus sozialen Gründen: Es handelt sich nicht um die Planeten, sondern um die Campagnabauern; hält es für wichtig, die Wahrheit zu verbreiten
2. forscht aus einer Sucht heraus, hält das Weitersagen für ein Laster,

5. Erläutern Sie die Funktion der drei Sänger und der Überschriften zu Beginn jeder Szene!
Vorwegnahme
Verfremdung
jede Szene für sich



Leben des Galilei / Brecht 'Galilei' Kipphardt 'Oppenheimer'

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