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„Doch das Messer sieht man nicht“
Brechts ‚Dreigroschenoper’ in Bergisch Gladbach
Es ist faszinierend zu beobachten, wie ein Nebenwerk Brechts zu einem seiner größten Erfolge wurde.

Es wurde mit heißer Nadel gestrickt: Brecht und seine Mitarbeiterin Elisabeth Hauptmann bearbeiteten - sehr eigenständig und originell - im Sommer 1928 John Gays ‚The Beggar’s Opera’ (1728), und noch während der Proben bis zur Uraufführung am 31. August wurde immer wieder geändert. So war der berühmteste Song dieses berühmten Stücks, die Moritat von Mackie Messer („Und der Haifisch ...“) zunächst nicht vorgesehen. Der Darsteller des Mackie in der Uraufführung wollte unbedingt mit einem für Brecht allzu brav-biederem Kostüm auftreten und setzte sich gegen Brecht durch. Brecht schrieb dann in aller Eile den Song vom Haifisch und rettete so das Bös-Bedrohliche des Mackie. Kurt Weill komponierte wenige Tage vor der Premiere die Musik dazu. Dem Welterfolg dieses Songs tat diese Eile kein Abbruch.

Vielleicht aber lag es an der Eile, dass diese Geschichte von der Bösartigkeit der Welt nicht den kritischen Biss hat, den sich Brecht sicherlich wünschte.

Macheath, Straßenräuber, Zuhälter, Bigamist, Mörder, hat heimlich Polly, Peachums Tochter, geheiratet. Peachum, der die Bettler Londons organisiert, damit sie erfolgreicher an das verkümmerte Mitleid appellieren können und er durch überzogene Provision ein reicher Mann wird, braucht Polly für sein Geschäft: Bei Inspektionen seiner Firma durch die Polizei sorgt sie durch ihre Reize dafür, dass die Konstabler mehr sie als die Firma begutachten. Zudem ist Mackie Messer, wie Macheath genannt wird, für die frömmelnden Peachems nicht die richtige Partie. So wollen sie ihn der Polizei ausliefern. Polly weist auf Mackies gute Beziehung zum Polizeichef Brown hin. Und sie beschwört Mackie zu fliehen. Ihr Vater habe den Polizeichef in der Hand, so dass dieser seinen Freund Mackie fallen lassen müsse (Peachem droht, mit seiner Bettlerarmee den Krönungszug zu stören.). Mackie verspricht zu fliehen, kann aber von seinen Gewohnheiten nicht lassen und geht ins Bordell. Frau Peachum hat inzwischen Spelunken-Jenny bestochen, dass sie Mackie verrät, wenn er ins Bordell kommt. So wird Mackie verhaftet, und der Polizeichef Brown weint bittere Tränen, als sein Freund ins Gefängnis eingeliefert wird. Für 50 Guinees erreicht Mackie, dass ihm der Polizist Smith keine Handschellen anlegt. Zu Browns Erleichterung kann Mackie fliehen.
Wieder geht Mackie zu eine Hure, wieder wird Brown von Peachem erpresst und muss Mackie verhaften lassen, und wieder wird Mackie von Spelunken-Jenny verraten. Smith will Mackie zwar für 1000 Pfund wieder laufen lassen; doch Mackies Bandenmitglieder schaffen es angeblich nicht, auch nur 400 zu beschaffen - das Gedränge sei wegen der Krönung zu groß gewesen. Auch Polly kann/will kein Geld besorgen. Dann aber - „Damit ihr wenigstens in der Oper seht/Wie einmal Gnade vor Recht ergeht.“ - kommt ein reitender Bote der Königin und befiehlt, dass Macheath nicht nur freigelassen, sondern auch geadelt und bis ans Ende seines Lebens mit einer Rente versorgt wird. Peachum dazu: „So leicht und friedlich wäre unser Leben, wenn die reitenden Boten des Königs immer kämen.“ Aber: „Die reitenden Boten des Königs kommen sehr selten, wenn die Getretenen widergetreten haben. Darum sollte man das Unrecht nicht zu sehr verfolgen.“ An anderer Stelle heißt es: „Das Gesetz ist einzig und allein gemacht zur Ausbeutung derer, die es nicht verstehen oder die es aus nackter Not nicht befolgen können.“ – Das sagt Peachem nicht als Schlusskommentator, sondern als der klassische Ausbeuter, zu dem auch Macheath sich entwickeln wollte: „Was ist ein Dietrich gegen eine Aktie? Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank? Was ist die Ermordung eines Mannes gegen die Anstellung eines Mannes?“ lauten seine Abschiedsworte unter dem Galgen.

Kritik am ‚Raubtier-Kapitalismus’ der bürgerlichen Gesellschaft - parallel zur Kritik Gays an der herrschenden Klasse seiner Zeit – das war beabsichtigt; aber das bürgerliche Publikum fühlte sich nicht betroffen, merkte gar nicht, dass es gemeint war, jubelte der Uraufführung zu. Das Messer war nicht nur nicht zu sehen, es war stumpf; und Brecht wusste dies. „Die Vorliebe des Bürgertums für Räuber erklärt sich aus dem Irrtum: ein Räuber ist kein Bürger. Dieser Irrtum hat als Vater einen anderen Irrtum: ein Bürger sei kein Räuber.“ (Anmerkungen zur Oper). Brecht wusste auch, dass seine Oper diesen ‚Irrtum’ förderte, dass sie zu unterhaltsam und zu unernst war, dass das Milieu zu platt dargestellt und die Songs zu schön waren, um die Zuschauer zu Erkenntnissen über ihr Milieu zu zwingen. Er versucht zu korrigieren: Zwei Jahre später schreibt er in diesem Sinne einen Entwurf für einen Dreigroschenfilm und 1933/34 den Dreigroschenroman. Was in der Oper nur angedeutet ist, wird im Roman genial satirisch gestaltet.

Heute wie damals ist die Dreigroschenoper ein Riesenvergnügen. Das Publikum erlebt pralles Theater, köstliche Typen, von den gruselig-ordinären Frauen Polly, Jenny und Lucy (Tochter Browns) bis zum unheimlich-bigotten Peachum. Großartig sind die einprägsamen, unvergesslichen Songs in der genialen Vertonung von Kurt Weill mit ihrer künstlerisch höchst raffinierten Mischung aus Bänkelsang, Song, Chanson, Jazz, Tanzmusik, Opernparodie.
Diese Songs vor allem machen die Oper zu einem Erlebnis. Wenige Male nur gehört, und für immer bleibt eine Reihe von Versen im Ohr, prägnant formuliert und eindringlich in Töne gesetzt: „Und ein Schiff mit acht Segeln“ - „Tritt er dir eben ins Gesicht“ - „Das ist die sexuelle Hörigkeit“ - „Nur wer im Wohlstand lebt, lebt angenehm“ - „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“ – „Der Mensch lebt nur von Missetat allein“ – „Denn alle rennen nach dem Glück/Das Glück rennt hinterher“. Solche Verse in Weills Vertonung offenbaren in einer Zeit höchster Unruhe und Unsicherheit (1928!) Skepsis und Hohn, aber auch Verzweiflung und – angesichts all des Unechten und Verlogenen im Peachum-Macheath-Milieu - Sehnsucht nach echten Gefühlen und verlorenem Glück.

Aufführung des Landestheaters Burghofbühne, Dinslaken, in Zusammenarbeit mit dem Orchester Oberhausen Donnerstag, den 12. September 2002



Drei Groschen Oper

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