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Eine Duplik

Die besonderen Schwierigkeiten, die durch die Besprechung eines marxistisch geprägten Autors entstehen, sind der Anlaß für folgende Bemerkungen. Sie sollen einige Mißverständnisse beseitigen helfen, die, wie mir scheint, die Besprechung des 'Kaukasischen Kreidekreises' zwar sehr interessant, aber auch sehr langwierig - im Hinblick auf den Termin, der uns für die Besprechung gesetzt ist, zu langwierig machen.

Die eigentliche Gefahr bei der Besprechung scheint mir, wenn ich Äußerungen in der letzten Deutschstunde richtig verstanden habe, darin zu liegen, daß Brechts Vorstellungen von einem besseren Zusammenleben der Menschen, so wie er sie u.a. im 'Kaukasischen Kreidekreis' ausführt, mit der politischen Wirklichkeit in den Ostblockstaaten gleichgesetzt und mit dieser auch jene verurteilt werden.

Ich möchte folgendes sehr entschieden betonen: Man kann gesellschaftspolitischen Vorstellungen anhängen, die marxistisch geprägt sind, und zugleich jedes totalitäre System, auch die politischen Systeme der Ostblockstaaten, grundsätzlich ablehnen. 'Links' oder auch 'Sozialismus' ist nun einmal nicht ohne weiteres gleichzusetzen mit dem Kommunismus, der im Osten und auch in der DKP die politische Doktrin und politische Wirklichkeit bestimmt. Daß auch Brecht die Diktatur, auch die einer Partei, ablehnt, ist bekannt und wird im 'Kaukasischen Kreidekreis' zur Genüge deutlich. Warum Brecht in der DDR lebte, vor allem seine Haltung während des Aufstandes vom 17. Juni 1953 - das sind Fragen, die gesondert diskutiert werden müssen. Hier wird man vom Elend der Kompromisse sprechen.

Brecht braucht, um seine Meinung (120) Daß da gehören soll, was da ist, denen, die für es gut sind (120) - und zwar gut im Sinne der Gemeinschaft - veranschaulichen zu können, einen Ort für die Handlung seines Stücks. Wenn er den Kaukasus wählt, so bedeutet das keineswegs, daß er den Stalinismus, daß er eine unmenschliche Regierungsform akzeptiert. Der Sachverständige, der als Vertreter der Regierung gedeutet werden könnte, zwingt den Bauern ja keine Entscheidung auf, diktiert ihnen nicht neue Gesetze; er berät lediglich. Das neue Gesetz, das eine Neuverteilung des Bodens ermöglicht, wird von den Kolchosbauern selbst geschaffen, freiwillig, also demokratisch; und darum ist es human. Daß solche humanen Verhältnisse in der Sowjetunion zu finden seien, ist nicht gesagt. Daß sie zur Zeit Stalins sicherlich nicht zu finden waren, wußte man, als der 'Kaukasische Kreidekreis' geschrieben wurde, wußte auch Brecht. Und so stellt er sein Idealbild der politischen Wirklichkeit entgegen: Die Heimat des Sowjetvolkes s o 1 1 auch die Heimat der Vernunft sein! (11)

Wir haben uns also, wenn wir uns jetzt mit dem 'Kaukasischen Kreidekreis' beschäftigen, nicht mit 'dem' Kommunismus auseinanderzusetzen, sondern mit der Frage, ob Brechts Anschauung, Daß da gehören soll, was da ist, denen, die für es gut sind ethisch gerechtfertigt ist.

Zu dieser Frage aber hatte Birgit schon das Wesentliche gesagt, als sie darlegte, sie sei der Meinung daß z.B. einem Fabrikbesitzer, der seinen Besitz schlecht verwaltet und damit die Existenz vieler Arbeitnehmer gefährdet, die Fabrik nicht mehr gehören soll - formulieren wir vorsichtiger: daß er mit seinem Besitz nicht mehr tun und lassen darf, was er will.

Dabei war natürlich vorausgesetzt, was übrigens nicht allen deutlich genug geworden ist, daß solche Entscheidungen nur dann ethisch gerechtfertigt sind, wenn die Interessen der Gemeinschaft wesentlich berührt werden. Über den Fall, daß nur der Fabrikbesitzer und niemand sonst Schaden leidet, wenn er seinen Besitz schlecht verwaltet, haben wir nicht gesprochen; ein solcher Fall steht gar nicht zur Diskussion« Doch in unserer Zeit, wo so vieles miteinander verflochten ist, wo die gegenseitige Abhängigkeit der Menschen untereinander größer ist als früher, ist auch der Fall, daß jemand etwas tut, ohne die Interessen der anderen zu berühren, selten geworden. Übrigens meint Brecht in dem zitierten Satz ja nichts anderes als der Artikel 14 unseres Grundgesetzes, in dem es heißt, daß "Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen."

Die Kolchosbauern des Kaukasus kommen zu ihrer Entscheidung, indem sie aus Verantwortungsbewußtsein handeln, aus dem Bewußtsein heraus, daß das eigene Interesse nicht das einzige ist, daß man auch an die anderen denken muß. Da beide Parteien diese ethische Grundhaltung besitzen, kommen sie ohne Gewalt zu einer Lösung: Weil auch die Bauern der Kolchose Galinsk wissen, daß sie nicht nur kurzsichtig an sich denken dürfen, können sie durch vernünftige Argumentation überzeugt werden - die einzig rechte Art, Konflikte auszutragen.

Das Idealbild Brechts, indem alle so gut und so vernünftig sind, als Märchen abzutun, halte ich für gefährlich. Wer nicht glaubt, daß der Mensch sich ändern, daß er sich bessern kann, daß er davon abkommen kann, ausschließlich an sich zu denken, wer also nicht glaubt, daß es einmal eine solche Gesellschaft wie die der Kolchosbauern geben wird, wie sollte der die Kraft haben, sich für die Gründung einer solchen Gesellschaft einzusetzen! Wer die Welt verbessern will, muß schon an das Gute im Menschen glauben.

Soviel zu Brecht.

Dienstag, den 8.12.70

P.W.



Grusche, Azdak, Die neue Zeit / Klausur 12

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