Bertolt Brechts Dreigroschenroman Übersicht
1 Vo‚Kaukasische Kreidekreis‘ oder ‚Die Ausnahme und die Regel‘.
Das ‚Kinderlied‘‚ das dem ‚Traum des Soldaten Fewkoombey‘ vorangestellt ist, nennt in extremer Verknappung die Quintessenz dieses Traums und des gesamten Romans, dass nämlich die Armen kein Pfund haben, wohl aber das Pfund der anderen sind.
Fewkoombey wird seit dem Anschlag auf Coax nicht mehr bei Peachum vorgelassen, hofft ihn bei der Trauerfeier zu sehen, kommt aber nicht an ihn heran.
Er hört in der Kirche die Predigt von den Pfunden. Er treibt sich herum und verkommt. Er weiß nicht, dass er im Fall Mary Swayer angeklagt ist. Als ein Junge Brot stiehlt und flieht, stellt er ihm ein Bein; „Er hatte es rein mechanisch getan“. (360)
Fewkoombey schläft unter einer Brücke und träumt. „Nach Jahren des Elends kam der Tag des Triumphes. Die Massen erhoben sich, schüttelten endlich ihre Peiniger ab, entledigten sich in einem einzigen Aufwaschen ihrer Vertröster, vielleicht der furchtbarsten Feinde, die sie hatten, gaben alle Hoffnung endgültig auf und erkämpften den Sieg. Alles änderte sich von Grund auf. Die Gemeinheit verlor ihren hohen Ruhm, das Nützliche wurde berühmt, die Dummheit verlor ihre Vorrechte, mit der Rohheit machte man keine Geschäfte mehr. Nicht das Erste oder Zweite, aber das Dritte oder Vierte war die Abhaltung eines großen Gerichts. Jedermann weiß, was damit gemeint ist. Von diesem Gericht wurde immerzu gesprochen; seit urdenklichen Zeiten erwartete man es; alle Völker malten es sich sorgfältig aus. Einige Leute hatten versucht, es an das Ende aller Zeiten zu verlegen, aber dieser Versuch der Verschiebung war verdächtig gewesen, keinesfalls konnten die Völker so lange damit warten.“
Der rechte Zeitpunkt „Keine Rede konnte davon sein, dass dieses Gericht am Ende allen Lebens stehen konnte, da es doch eigentlich erst seinen Beginn einleitete. Bevor dieses Gericht stattgefunden hat, kann von wirklichem Leben natürlich nicht gesprochen werden. Nun fand es statt.“
Wie kommt Fewkoombey an das Richteramt? „Der Träumer war der Vorsitzende. Er wurde dies selbstverständlich erst nach erbittertem Kampf, da sich eine ungeheure Menge von Bewerbern gemeldet hatte, die brüllend und um sich schlagend wie Wahnsinnige um diese Vergünstigung kämpften.“ (360) (Im Text gibt es auf die Frage nach der Ursache dieses Kampfes keine Antwort. – Vielleicht wirkt die Realität mit ihrem Kampf aller gegen alle noch in den Traum hinein. Oder wollen die Schlechten sich mit diesem Amt reinwaschen?)
Sinn des Gerichts des „größten Gerichts aller Zeiten, des einzig wirklich notwendigen, umfassenden und gerechten.“ (361) Denn vor Gericht sollen stehen „alle, die sich in einer bestimmten Weise gegen die Armen und Wehrlosen vergangen hatten, sei es durch Taten, sei es durch bloße Worte.“ (361) Die Dauer des Richtens beträgt mehrere hundert Jahre; „es sollten ja alle klagen können, die jemals zu Boden getreten worden waren.“ (361)
Der erste Angeklagte „Der Oberste Richter beschloss, den Anfang mit einem Mann zu machen, der, nach Aussage eines Bischofs in einer Trauerfeier für untergegangene Soldaten, ein Gleichnis erfunden hatte, das zweitausend Jahre lang von allerlei Kanzeln herab angewendet worden war und nach Ansicht des Obersten Richters ein besonderes Verbrechen darstellte.“ (361)
Jesus tritt auf als Kleingewerbetreibender oder Handwerker, er trägt „billige, aber ordentliche Kleidung“ (361). Erste „Frage des Obersten Richters an den Angeklagten, ob er sich der Tragweite seines Redens, des Redens überhaupt, bewusst sei … Der Angeklagte erwiderte: ja, er sei als Religionsstifter allgemein bekannt.“ (361)
„Die zweite Frage des Obersten Richters war, ob sich der Angeklagte schuldig bekenne, in seinem Gleichnis unwahre Darstellungen von Tatbeständen geliefert und in Umlauf gebracht zu haben. Der Angeklagte bestritt aufgeregt eine solche Schuld. Es sei durchaus möglich, aus einem Pfund bei Fleiß und geeigneter Geschäftsführung fünf oder gar zehn Pfund zu ziehen. Auf die Frage, bei welcher Geschäftsführung, wusste er allerdings nur zu wiederholen, eben bei geeigneter, landläufiger Geschäftsführung.“ (362)
Hauptpunkt der Anklage „»Sie sollen gesagt haben, dass nicht nur einige Leute, sondern alle Leute, also alle Menschen, die es gibt, ein Pfund mitbekommen? Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass dies der Hauptpunkt ist.« Der Angeklagte gab zu, solche Dinge gesagt zu haben…. »Dann sagen Sie uns, Angeklagter«, fuhr der Oberste Richter ganz ruhig fort, »wo Sie das gehört haben, dass alle Menschen auf Erden solch ein Pfund in die Hand bekommen, das da mehr wird, fünf Pfund oder gar zehn Pfund.« »Das sagten alle.« … »Wir wollen sie herzitieren und sie fragen, die Ihnen das sagten.« (362)
Aussagen der Bekannten und Verwandten des Angeklagten Die Herbeizitierten sind ähnlich gekleidet wie Jesus. „Sie gaben an, dass sie alle ein Pfund empfangen hatten. Als solch ein Pfund betrachteten sie ihren gesunden Menschenverstand, ihre Kenntnisse im Handwerk, ihren Fleiß. »Und hattet ihr sonst noch was?« fragte der Richter.“ (362) Der Vater des Angeklagten verweist auf eine Schreinerwerkstatt. „Ein anderer hatte von seinen Eltern das Geld zum Besuch einer Schule bekommen.“ …Ein dritter hatte einen Spezereiwarenladen geerbt.“ (363) Alle behaupten, sie hätten gut gewuchert.
Auftreten der Leute „ohne ein solches Pfund, wie es die Zeugen alle hatten“ (363) „Dann nahm er sich von neuem den Angeklagten vor. Ob er nicht auch noch anderen Leuten begegnet sei, Leuten ohne ein solches Pfund, wie es die Zeugen alle hatten? Der Angeklagte schüttelte den Kopf.“ (363) Es erscheinen die Dienstboten, die Knechte und Mägde der andern, schlechter angezogen. »Kennt ihr den Angeklagten?« fragte der Richter sie. Sie kannten ihn. Es war der, der oft zu ihnen gesprochen hatte. Er hatte ihnen unter anderem auch gesagt, dass jeder ein Pfund erhalten habe von Gott, seine Geistes- und Körperkräfte, die er mehren und gut verwenden müsse. Sie hatten es aus seinem eigenen Munde gehört. »So kannte er euch also?« verhörte sie der Richter. »Natürlich«, gaben sie zur Antwort, und der Angeklagte musste zugeben, dass er sie kannte. »Hat euer Pfund sich vermehrt?« fragte der Oberste Richter streng. Sie erschraken und sagten: »Nein.« »Hat er gesehen, dass es sich nicht vermehrte?« Auf diese Frage wussten sie nicht gleich, was sie sagen sollten.“ (364) Der Junge, der das Brot gestohlen hatte: »Er muss es gesehen haben; denn wir haben gefroren, wenn es kalt war und gehungert vor und nach dem Essen. Sie selber, ob man es uns ansieht oder nicht« (364) Er (der Junge) holt als Beweis für die Verelendung Mary Swayer.
Der Angeklagte brauche einen Verteidiger, »Aber er muss zu Ihnen passen.« Es erscheint „ein kleiner Mann mit gemeinem Gesichtsausdruck“: Peachum. (364) Der Angeklagte „sah wohl, dass es eine böse Absicht von dem Richter war, ihm diesen Verteidiger zu geben.“ (365)
Zwischenergebnis „Das Gericht nahm als erwiesen an, dass von den Behauptungen des Angeklagten zwei wahr seien, erstens, dass mit Pfunden gewuchert, das heißt Gewinne erzeugt werden können, und zweitens, dass diejenigen, die keine erzeugen, in eine Finsternis geworfen werden, wo da Heulen und Zähneklappern ist. Dass aber alle Menschen ein Pfund mitbekämen, das erklärte das Gericht als nicht erwiesen.“ (365)
Mangelnde Schulbildung Mary Swayer sei von Mac hintergangen worden, weil sie den Vertrag nicht richtig lesen konnte. (Der Vertrag hatte keine Klausel, dass in der Nähe ihres Geschäfts nicht auch andere Geschäfte sein dürfen.) Vorwurf des Richters gegenüber dem Lehrer - „das war der einstige Lehrer der Selbstmörderin“ (365): »Du hast deine Schüler nicht lesen gelehrt«. (365) Der Lehrer: »Sie kann lesen.« … »Aber nicht Verträge, nicht Verträge!« schrie der Richter und war sehr zornig.“ „Der Lehrer machte ein beleidigtes Gesicht. »Meine Schüler in Whitechapel brauchen keine Verträge lesen zu können«, brummte er. »Sie sollen arbeiten lernen, dann brauchen sie keine Verträge.«“ (365)
Auch Jesus wird vom Richter vorgeworfen, dass er wenig weiß (als er ihn nach ‚Attica‘ fragt). Der Verteidiger: »Er wusste genug. Für uns wusste er genug.« (366)
Und auch Fewkoombey weiß nicht genug, deshalb fragt er auch den Lehrer nach ‚Attica‘: „Er sei in seinem Buch (der halbe erste Band der Enzyklopädie) nicht so weit gekommen, da man es ihm weggenommen habe.“
Der Kellner, der Fewkoombey die Wirtschaft übergeben hatte, kann schreiben. „»Aber mir«, sagte der Richter zornig zu dem Zeugen, »hast du nicht in den Vertrag geschrieben, dass es nur Gäste gab, solange der Neubau gebaut wurde.« Das konnte ich nicht schreiben«, erwiderte der Kellner, »ich hatte nicht genug Geld, als ich die Wirtschaft anfing und war froh, dass ich durch das Baujahr meine Schulden los wurde und wieder Kellner werden konnte.« »Also konnte er nicht schreiben!« schrie der Richter, wieder sehr zornig.“ (366; Der Kellner kann seine Fähigkeit für einen korrekten Vertrag nicht nutzen, weil er zu arm ist.)
Wie kommt der Unterschied zwischen arm und reich zustande? Der Richter fragt Mary: „»Wenn der Warenstrom nicht versiegt wäre … hättest du dann auf einen grünen Zweig kommen können? Mary: »Warum nicht? …Da ich doch die Nähmädchen hatte.« »Das ist der Hauptpunkt«“ (367), sagt der Richter (Er ahnt schon, dass wuchern nur der kann, der Arbeitskraft kauft.)
Der Richter sieht die Wohlgenährten und die Schlechtgenährten. Da standen die Entlastungszeugen, die dem Angklagten recht gaben, wohlgenährt, gut gekleidet, mit Aussichten und Erfolgen, und ihnen gegenüber die Schlechtgenährten, Frühalternden, die Frau immerfort nähend ohne Stoff, … der Junge, den Arm gebogen, als trüge er schwer an einem Brot, aber ohne Brot.“ (367) Der Richter fragt den Angeklagten: »Begreifst es denn du nicht?« Der Angeklagte „zuckte nur die Achsel und konnte nichts sagen.“ (367) „»Dieser Unterschied«, seufzte der Richter, »und kein Grund! Und doch muss etwas schuld sein, aber was?«“ (367)
Der Richter fragt die Bände der Britischen Enzyklopädie. „»Wisst ihr etwas auszusagen über den Grund, warum einige von uns, der kleinste Teil, ihr Gut mehren, aus einem Pfund, wie es in der Bibel heißt und verlangt wird, zwei oder fünf oder gar zehn machen, aber andere, viele, die meisten vermehren in einem langen, arbeitsreichen Leben höchstens ihr Elend. Was, meine Freunde, ist das Pfund der Glücklichen, das so gewaltige Gewinne abwirft und um das unter ihnen, wie ich gehört habe, solch ein gewaltiger Kampf tobt? Woraus besteht es?«“ (368) Die Enzyklopädie antwortet: Zins des Kapitals. Ein anderer Band: „»Wenn jemand seine Arbeitskraft in etwas hineinsteckt, dann wird es wertvoller. Steine sind nicht viel, aber ein Haus.«“ (368) Der Richter: „»Arbeitskraft, die hatten wir alle. Aber das, in was wir sie hineinsteckten, gehörte nicht uns oder es ging rasch zu Grunde.«“ (368)
Der Sirius wird vom Richter gerufen. Der Sirius bestreitet, Einfluss zu haben. Der Richter: »Also seid Ihr es auch nicht? …Das Glück ist es auch nicht?« (369) (Unklar, wieso ‚Ihr‘ großgeschrieben ist; altertümliche Anrede? Kleingeschrieben könnte es ‚die Gestirne‘ meinen, die die Geschicke lenken.)
Die Lösung kommt von Beerys und Smithys Hinweisen. Berra, Peachums Verwalter: »Die Abtritte mit der schrägen Rückenwand sind meine Idee gewesen.« Der Verteidiger pflichtet ihm bei: »Er versteht es eben, aus den Leuten etwas herauszuholen, das ist es.« (vgl.: „Berrys Methode, unwillige oder schwächliche Arbeiterinnen in Peachums Schneiderei einfach auf die Straße zu setzen, beschleunigte das Arbeitstempo.“; 319) Er setzte auf dem Klosett eine schiefe Rückwand ein, „so dass man nur gebückt sitzen konnte“ (319) und die Arbeiterinnen nicht mehr rauchen konnten und also nicht zu lange von der Arbeit wegblieben.
Das Pfund Fewkoombeys: ein Messer, mit dem er Coax umbringen sollte und das er im entscheidenden Moment verloren hatte; und das von Mary Swayer: ein Brief zum Erpressen. Das ist wieder ein Hauptpunkt, der ein Stück weiterbringt (vielleicht die Einsicht, dass man durch Böses Zinsen erhält?).
Der Richter fragt Smithy, einen alten Bettler, dessen Gehilfe er zeitweise war: »Wenn du mich damals hättest behalten dürfen, wärest du da auf einen grünen Zweig gekommen?« Als Smithy antwortet: »Warum nicht?« erhält der Richter letzte Klarheit.
Das Urteil Zu den Verwandten des Angeklagten: »Das ist euer Pfund! Wir sind es! Der Mensch des Menschen Pfund!“ (370) mit dem man wuchern kann, wenn man einen Menschen zum Ausbeuten hat. »Wer keinen hat, ihn auszubeuten, beutet sich selbst aus!« (370) Er zeigt auf eine Wand, einen Tisch. »Das hat doch einer machen müssen! Hat er etwa genug dafür bekommen?… Ist alles bezahlt? Voll? Natürlich nicht! … es werden ersucht sich zu melden, die nicht voll ausbezahlt wurden! ... Wo sind die Lohnlisten?« (370f.) (Die Lohnlisten sollen zeigen, dass den Arbeitenden nicht genügend ausgezahlt wurde, dass sie den von ihnen erarbeiteten Mehrwert nicht erhalten haben.)
Zum Angeklagten: »Du bist überführt! Alles falsch beschrieben! Die Unwahrheit verbreitet! Da verurteile ich dich! Wegen Beihilfe! Weil du deinen Leuten dieses Gleichnis in die Hand gegeben hast, das auch ein Pfund ist! Mit dem gewuchert wird!« (371) Mit dem Tode bestraft werden sollen alle, die das Gleichnis verbreiten und alle, die nicht dagegen eingeschritten haben, wenn sie ihm zugehört haben. »Und da auch ich diesem Gleichnis zugehört und geschwiegen habe, da verurteile ich auch mich zum Tode!«
Fewkoombey wird wenige Tage später verhaftet. „Es wurde ihm der Prozess gemacht, zu seinem Erstaunen wegen Ermordung der Mary Swayer. Er wurde zum Tode verurteilt und aufgehängt, in Anwesenheit und unter dem Beifall einer großen Menge von Kleingewerbetreibenden, Nähmädchen, invaliden Soldaten und Bettlern.“ (371)
mögliche Klausuren u. a. Fewkoombey über Abtreibung S. 70f. Über Konkurrenz S.290f.
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